Wien - Der Bahnhof tönt. Wer derzeit am frühen Abend den Wiener Westbahnhof betritt, dem bedeuten akustische Signale, dass etwas anders ist. In der oberen Hallenplattform hat unter dem Motto Moving Station - Wien-West ein schwarzer Kino-Kubus angedockt, mit Leinwand und Bestuhlung ausgestattet und nach hinten geöffnet, sodass auch die Bilder Wirkung nach außen entfalten. Kino und Eisenbahn - zwei Erfindungen des 19. Jahrhunderts - ergeben verbunden ein schönes, kaleidoskopartiges Bild. Pessimistisch gesehen könnte man die folgenden Parallelen betonen: Der Mainstream drängt die Nebenbahnen ins Off, und alles, was nicht unmittelbar gewinnbringend wirkt, wird gegenwärtig nach und nach stillgelegt. Die Interessengemeinschaft der österreichischen Dokumentarfilmschaffenden, kurz dok.at, versteht ihren einmonatigen, provisorischen Spielbetrieb am Wiener Westbahnhof durchaus auch als Statement zu sich verschlechternden Produktionsbedingungen für unabhängige kleine Projekte und aktuellen, dramatischen Kürzungen etwa des Filmförderbudgets. Zudem leiden Dokumentarfilme allgemein unter stiefmütterlicher Behandlung im regulären Kino-Spielbetrieb. Hier schlägt die Kürzung der Mittel nochmals zu, weil gerade kleinere Veranstalter und Kulturinitiativen wesentlich zur Verbreitung der Filme beitragen - während umgekehrt etwa das heimische Fernsehen kaum Sendeplätze bietet. Ins Positive gewendet kann man Kino und Bahnhof aber auch zu anderen Assoziationen verbinden: Beide liefern Rahmenbedingungen für kommunikative Situationen, und beide können ein Ausgangspunkt sein für individuelle oder auch gesellschaftliche Horizonterweiterung und Grenzerfahrung: dok.at zeigt nicht weniger als 43 Filme österreichischer Filmschaffender aus den Jahren 1990-2000, darunter unzählige preisgekrönte Arbeiten. Der heimische Dokumentarfilm platziert sich, in schönster Wanderkino-Manier, mitten im öffentlichen Leben. Und seit Montagabend kann man täglich beobachten, wie die Filme ihr Publikum finden, wie die Bilder und Töne Wartende, Reisende oder Passanten zum Stehenbleiben und Zuschauen bewegen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 11. 2000) Link zum --> aktuelles Programm von "Moving Station – Wien West". (red)