Wien/Köln - Moderne Zeiten: Die Ausstellung des Chefeklektikers der jüngeren Künstlergeneration sieht man sich bloß als the making of im Internet an, das Gespräch mit ihm läuft per E-Mail - und dann überhaupt nicht. Passt zum Konzept, das vielleicht gar keines ist. Besonders dann, wenn Kunstschaffende etwas Simples und dadurch wieder Kryptisches machen, überschlagen sich Theoretiker mit Interpretationen. Wie viele Mythen wären zerstört, wenn man wüsste, wie sie tatsächlich zustande gekommen sind. An Mythenbildung ist Michel Majerus dennoch nicht interessiert. Zumindest nicht vordergründig. "Die Absichten des Künstlers werden überbewertet", prangt als Zitat auf seiner jüngsten Installation, einer rund 40 Meter langen Skater-Halfpipe, die derzeit den Kölnischen Kunstverein fast zu sprengen droht. Majerus hat das Zeug in sich - und jetzt sprechen wir ein großes Wort gelassen aus - so etwas wie ein Warhol unserer Zeit zu werden. "Schau auf die Oberfläche meiner Bilder", hat der Factory-Mann gesagt, "da ist nichts dahinter". Obwohl Majerus zuweilen wirklich zu Farbe und Pinsel greift, lesen sich die Bildkomponenten in den meisten Fällen anders: Lack, Computerausdruck auf Aluminium. Kunst kommt nicht vom Können Sammeln und Verwerten: Kunst kommt hier nicht mehr vom Können, sondern vom Klauen. Wie der Pop-Art-Gott bezieht er die visuellen Zeichen, Logos und Symbole ein, die heute in ihrer massenmedialen Verfügbarkeit zehnmal mehr das (öffentliche) Bild prägen als in den Sechzigern. Es wird durch-appropriiert, dass die Schwarte kracht, allerdings nicht als pures 1:1. Die Kombination macht's aus. Sich "vor der Überfülle der Bilder" schützen will er sich dabei, sagt Majerus, aber man solle ihn nicht überbewerten. Damit nicht genug: Er streunt auch noch kräftig in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts herum - von Ellsworth Kelly bis Basquiat. Alles noch, gleichsam als Computerchip implantiert, mit einer Spur Techno-Kultur, Seventies-Ästhetik, futuristischer Typographie und einem Alzerl Jugendstil. Und das macht er gut. Der Maler Sigmar Polke ist Majerus genauso viel (oder wenig) wert wie das neueste Nike -Schuhmodell. Und er ist überzeugt davon: "Man kann keine Kunst mehr machen, die ausschließlich Kunst ist." Das spielt er in Varianten durch, mitunter auch in der bis dato einzigen Personale in Österreich, 1996 im Grazer Kunstverein. Natürlich ist Berlin, die Stadt der kommerziellen Overkill-"Love Parade", das beste Pflaster für den 1967 geborenen Luxemburger, hier trifft Kunst gerne auf Techno. Für eine Ausgabe des US-Kunstmagazins Flash Art (1998) lieferte der Künstler Bildmaterial für 3001 Berlin . "Liebt einander" oder "Pop ist Terror" ist auf Bildtafeln von Majerus zu lesen, die er im Kleinformat zu stilistisch unterschiedlichen Bildertapetentafeln kombiniert. Manche seiner Ausstellungen muteten an wie begehbare Seitenlayouts eines hipen Magazins. Oberflächen- Reize Alles Gesten, die zwischen Kraftmeierei, Bluff und Faszination schweben. Und damit die "pure visuality", wie der Amerikaner das nennt, nicht doch zu flach und allzu vergänglich und verdaulich wie Fastfood bleibt, werden möglichst provokante wie rätselhafte Zitate ins Bildwerk gestreut. In Köln steht die Ausstellung unter dem Motto: if we are dead, so it is . Crossover-Pilze, der vorletzte Schrei trendiger Kunst der vergangenen Jahre, schießen zwar nach wie vor aus dem Boden, doch selten fällt sie so - in jedem Sinn - multidimensional aus wie bei Majerus. Bei der umstrittenen Deutschkunstschau in Wolfsburg, German Open , in Riesenformaten- und Sätzen. "Eine Malerei, die durch ihre Größe und nicht durch ihre Emphase oder ihre Inhalte das Dekorative überwindet", weiß darüber die Basler Zeitung . Dank Majerus können sich Kunsthistoriker auch mit den Schmutzrockern Motörhead beschäftigen. Ausgerechnet auf der Kölner Skaterrampe steht: "Die Krüppel bleiben, bloß die Rollstühle verändern sich von Zeit zur Zeit." Verkappte Kritik an der Kunst oder gar an einer anderen Gesellschaft? Nö du, man sollte das alles nicht überbewerten! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12. 11. 2000)