Wien - Das Ergebnis der vorjährigen Nationalratswahl hat die GegnerInnen des Rechtspopulismus unvorbereitet getroffen. Dem bösen Erwachen folgte fieberhafte Aktivität. Am 12. November 1999 bereits kam es am Heldenplatz zur Großkundgebung "Wir sind Österreich", mit der sich die Demokratische Offensive um Isolde Charim, Doron Rabinovici und Robert Misik profilierte. Statt auf politische Parteien setzte sie von Anfang an auf die "Zivilgesellschaft". Das war eine weitreichende Entscheidung, wie sich inzwischen erwiesen hat. Denn mit ihr rückten neben der Zurück-drängung des Rechtspopulismus in Österreich bald neue Aufgaben ins Blickfeld. Seit 1996 schon hat in Frankreich Pierre Bourdieu mit der Organisation Raison d'agir ebenfalls auf engagierte Zellen der Zivilgesellschaft gesetzt, um durch ihre internationale Verknüpfung ein Netzwerk gegen den Neoliberalismus zu bilden. Der renommierte Pariser Soziologe war daher der logische (?) Stargast des Arbeitskongresses Opposition bilden!, bei dem die Demokratische Offensive am Wochenende in Wien ihre Entstehung und Zukunft überdachte. "Extremfall Österreich" Auch wenn die Frage in keiner der Arbeitsgruppen des Kongresses explizit erläutert wurde, sie kann nicht einfach übergangen werden: Wie hängen Rechtspopulismus und Neoliberalismus tatsächlich zusammen? Bourdieu versprach, dass man bei seinem großen Vortrag am Samstagabend im Künstlerhaus mit jedem Satz an Österreich erinnert werde, auch wenn das Land namentlich nicht vorkomme. Dem ist beim besten Willen nicht so gewesen. Je klarer man im Sparkurs der schwarz-blauen Regierung die neoliberale Ausrichtung erkennt, desto gleichgültiger wird die Position dieser Regierung im konventionellen Spektrum der Politik. Was Rabinovici im Eröffnungsstatement meinte, dass in Österreich "unter dem Dogma des Nulldefizits alles eingespart wird, was moderne Demokratie ausmacht", ist ja gerade das Paradebeispiel neoliberaler Politik, wie Bourdieu es in der "Selbstabschaffung der Staaten zur Freude der Wirtschaft" tragikomisch beschreibt. Dass "der Extremfall Österreich die Ausnahme ist, die die Regel bestätigt" (Rabinovici), muss ebenfalls als unergiebige Einsicht erscheinen, wenn laut Bourdieu klar ist, dass auch Länder mit sozialdemokratischer Regierung dem Neoliberalismus verfallen. Tony Blair und Gerhard Schröder passen neoliberale Anzüge maßgeschneidert. Was von dem Kongress für den Kampf gegen den Rechtspopulismus in Österreich bleibt, ist bescheiden. Vielleicht lässt sich Misiks Versuch zur Herstellung eines neuen Narrativs für das österreichische Gemeinwesen ausbauen: Im Unterschied zum extremen Eigennutz, den das Österreich-Narrativ der FPÖ kennzeichne, solle im neuen Narrativ betont werden, dass das Bekenntnis zur Einwanderungstradition in Österreich die Wohlfahrt befördert. Bloß ist das alles hinfällig, wenn Pierre Bourdieu Recht hat. Wozu wir noch kommen, nach einem in jeder Hinsicht retardierenden Moment: dem Versuch eben Robert Misiks, dem Rechtspopulismus in Österreich mit mehr Patriotismus beizukommen. Dass dieser Versuch paradox ist, war den VeranstalterInnen selbst klar. Dass sie ihn dennoch unternommen haben, kennzeichnet fast rührend das persönliche Engagement, mit dem hier jedes Mittel darauf abgeklopft wird, ob es vielleicht Erfolg verspricht. Ausgehend von der Erfahrung, wie schnell jene potenziell immerhin 73 Prozent, die am 4. November 1999 nicht für die FPÖ gestimmt haben, zum "anderen Österreich" abgestempelt wurden, empfiehlt Misik der Linken das Eintreten für ein entschlosseneres ÖsterreicherInnensein. Im Vorhaben, Österreich zu verbessern, liege ohnehin bereits das Bekenntnis zu Österreich. Gefahr des Populismus Mit guten Gründen blieb der Philosoph und Kunsttheoretiker Gerald Raunig dabei, dass hier die Gefahr lauert, dass "sich populistische Momente in die Rhetorik der Demokrati- schen Offensive einschleichen". Patriotismuskonzepte würden schon insofern reaktionär bleiben, als ihnen nationale Grenzen des Gewissens zugrunde liegen. Und, wie der deutsche Soziologe Sebastian Reinfeldt ergänzte, der Patriotismus lebt von heroischer Erinnerung. Politisches Engagement kommt nicht aus ohne "kollektive Anrufung" bzw. ein "Wir", dieses dürfe sich aber nicht aus Sentimentalität speisen. Zurück zu dem, was Bourdieu immer klarer wird. Und was er im Künstlerhaus mit souveräner Rhetorik extemporierte: das Horrorszenario einer globalen Entwicklung, die sich als Erhebung nordamerikanischer Normen zu universellen Werten umschreiben lässt. Die Entwicklung verläuft laut Bourdieu ebenso systematisch wie obskur. Man ahnt nur, "dass es einen Zusammenhang zwischen dem Neoliberalismus und der Zunahme der Hundescheiße auf den Gehsteigen gibt". Die EU mit ihren bizarren Institutionen steht ebenso im Dienst des Prozesses wie die europäischen Regierungen von Lettland bis Griechenland. Und obwohl dieser Prozess auf lauter falschen Behauptungen beruht, wie des angeblichen ökonomischen und technologischen Zwanges oder wie der Verschleierung der Globalisierung als Naturphänomen, haben nicht seine ExponentInnen ein Glaubwürdigkeitsproblem, sondern seine KritikerInnen. Auf der Basis der "Charta 2000" soll dagegen eine neue europäische soziale Bewegung erstehen. Die Demokratische Offensive ist dabei. Und vielleicht ist der Neoliberalismus ja wirklich trotz allem noch der angenehmere, der überwindbarere Gegner als der Rechtspopulismus österreichischen Zuschnitts. (Michael Cerha) (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 13.11. 2000)