Da gibt der österreichische Kanzler der Jerusalem Post ein Interview, in dem er einerseits erklärt, er bedaure seine Koalition mit Haider nicht, und andererseits mit Nachdruck sagt, die Nazis hätten Österreich mit Gewalt genommen. Österreich sei das erste Opfer gewesen. Was ist los mit Wolfgang Schüssel? Hat er nicht geahnt, welchen Schaden seine Worte anrichten würden? War ihm nicht klar, in welchem Land diese Zeitung erscheint? Gab es einen Anlass, ein Interview für eine israelische Zeitung zu geben? Hätte er, falls er sonst nichts zu bemerken hat, nicht zumindest ebenso gut schweigen können - etwa so wie zu den Zuständen bei den Freiheitlichen? Er kann doch schweigen. Wir wissen das. Er sagt zu Dingen, zu denen er reden müsste, Klarstellungen treffen müsste, doch meist nichts. Und hier musste er reden? Und noch dazu das? Schön langsam vermute ich, Schüssel könnte - obwohl zuvor Außenminister - wirklich nicht gewusst haben, dass es Regierungen und Länder gibt, die der FPÖ kritisch gegenüberstehen und reagieren würden, falls er mit dieser Partei eine Koalition bilden sollte. Vielleicht hat er einfach ein bloß partielles Wahrnehmungsvermögen. Vielleicht merkt er bestimmte Dinge nicht. Oder vergisst sie gleich wieder. Dass er schon früher Regierungsämter bekleidet hat und in diesen Funktionen an Beschlüssen der Regierung mitgewirkt hat, unter anderem auch an Budgetbeschlüssen, hat er ja auch vergessen. Es könnte daher eine Form der Amnesie sein. Es gibt auch Beobachter, die sich fragen, ob er vielleicht am Vormittag noch nicht so richtig in Schwung ist und deshalb Bewusstseinslücken auftreten. Darauf lässt unter anderem die Frühstücksbeschimpfung des Bundesbank-Präsidenten schließen. Vielleicht ist es das. Vielleicht hat er Stunden, wo er nicht merkt, wie das, was er tut, auf andere wirkt. Herr Bundeskanzler. Ich mache mir Sorgen um Sie. Sie haben ein Leiden, das Sie vielleicht gar nicht selbst erkennen können. Vielleicht haben Sie es auch schon wieder vergessen. Aber ich mache mir noch größere Sorgen um unser Land, um Österreich! Österreich nimmt Schaden, wenn da einer an der Spitze der Regierung steht und offenbar nicht mehr weiß, was er tut. Wie sonst wollen Sie erklären, was Sie da in der Jerusalem Post von sich gegeben haben? Wie sonst wollen Sie erklären, dass Sie es für notwendig befunden haben, jetzt auch noch Öl ins Feuer zu gießen, als ob die Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht schon Schaden genug wäre? Herr Bundeskanzler! Suchen Sie Ihren Hausarzt auf. Oder treten Sie zurück. Sie sind leider ein Schaden für Österreich! (DER STANDARD Print-Ausgabe, 15. 11. 2000) Caspar Einem, NR-Abgeordneter der SPÖ, war vor der Wende Minister für Wissenschaft und Verkehr.