Weniger Staat, mehr Privat lautet die Devise der schwarz-blauen Regierungskoalition. An Stelle des Staates, der mehr und mehr an Boden verliert, soll die Bürgergesellschaft (VP-Clubobmann Andreas Khol) oder die Zivilgesellschaft mehr Platz einnehmen. Doch was bringt diese Entwicklung den Frauen? Mit dieser Frage beschäftigten sich Ökonominnen, Philosophinnen, Politologinnen, Theologinnen und Soziologin am Freitag bei der 20. Frauenringvorlesung an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), bei der diesmal auch Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie tatkräftig mitgewirkt hat. Herlinde Pauer-Studer, Philosophieprofessorin an der Uni Wien, zieht den Staat, der üer Grundrechte definiert ist, allemal der Zivilgesellschaft vor, die eine sozial-assoziative Wertegemeinschaft darstellt, Tugend und Moral verkörpert, ohne klar zur regeln, wer dazugehört. Die Philosophin hat Sorge, dass so eine Zivilgesellschaft die Vorstellung „des Guten“ allzu stark aufwertet, was sie, Pauer-Studer, lieber der Privatsphäre überlassen würde. Auch die Feministinnen sollten ihrer Meinung nach darüber nachdenken, ob nicht unter dem neuen Label der Zivilgesellschaft ein uraltes Muster auftaucht, „das den ;Männern soviel zugesteht und den Frauen unverschämt viel abverlangt“. Birgit Sauer, Politologin an der Uni Wien unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Konzepten einer Zivilgesellschaft, dem normativen Konzept und dem analytisch-materialistischen. Das normative Konzept postuliert die Zivilgesellschaft als eine Art soziale Gegensphäre zum Staat, in der sich frauenfreundliche Institutionen oder das Emanzipativ-Gute etablieren könnten. So eine normative Ausrichtung lehnt Sauer schon deshalb ab, weil der patriarchale Stil, der den Staat prägt, auch in der Zivilgesellschaft mehrheitsfähig bleibt. Sie fürchtet, dass wenn der Staat zurückgedrängt wird, er von einer anderen Form der Totalität abgelöst werden würde: vom Durchgriffsrecht auf das Individuum. Wenn zum Beispiel Andreas Khol in seiner Bürgergesellschaft anregt, dass die Bürger sozialen Mißbrauch nicht mehr zulassen sollen, so wächst der Druck auf die Einzelnen. Sauer plädiert für ein materialistisch-analytisches Konzept von Zivilgesellschaft. Emanzipatorisches Potenzial ortet sie weniger in den Gemeinschaften ohne Öffentlichkeitsbezug (wie Familie, Nachbarschaft) sondern vor allem in Gemeinschaften mit Öffentlichkeitsbezug: etwa bei politischen Initiativen. Chance Auch die Theologin Christa Schnabel sieht in Gemeinschaften mit Öffentlichkeitsbezug eine Chance für Frauen. Sie votiert für frei gewählte Gemeinschaften im Zwischenraum von Staat und Politik, in der die Trennung zwischen Privat und Öffentlichkeit überwunden wird. An den liberalen Konzepten kritisiert sie, dass dabei die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Voraussetzungen ausgeblendet bleiben. Die Ökonomin Luise Gubitzer von der Wirtschaftsuni Wien unterscheidet sinnvollerweise zwischen Bürger- und Zivilgesellschaft, weil sie unterschiedliche Frauenrollen und Ökonomiekonzepte unterstellen. Die Bürgergesellschaft hält den Markt hoch, aber auch den dritten Sektor, wobei bis hin zu den kleinsten NGO’s betriebswirtschaftliche Prinzipien immer wichtiger werden. „Politik wird dem Kapital rechenschaftspflichtig“, formulierte Gubitzer wörtlich. Während Männer in den Bürgergesellschaftskonzepten (nomen est omen) den aktiven Teil zugewiesen bekommen, wird Frauen eher die traditionelle Rolle als Hausfrauen, Mütter oder in der Nachbarschaftshilfe bzw. bei ehrenamtlichen Tätigkeiten zugewiesen. In der Zivilgesellschaft sind laut Definition Gubitzers Frauen und Männer in NGO’s organisiert, die gegen Ausgrenzung und Ungerechtigkeiten eintreten und von Staat und Wirtschaft bestimmte Aufgaben einfordern. Hier gibt es viele Frauenorganisationen, die sich ökonomischen Themen zuwenden, meinte Gubitzer und erinnert an die Aktionen gegen das MAI, die Proteste gegen die WTO-Tagung in Seattle oder bei der Weltbanktagung in Prag. Immer öfter schließen sich One-Issue-Bewegungen zu einer größeren Sache zusammen, komme es auch hier zu einer Art Globalisierung. Allerdings setzten solche Initiativen die Existenz gewisser politischen Bürgerrechte voraus, wie sie nicht überall auf der Welt gegeben sind. Ausserdem, so Gubitzer kritisch, lösen solche Aktionen auch ökonomisch begründete Gegenbewegungen aus: etwa wenn der inzwischen abgetretene deutsche Verkehrsminister bei der Brennerblockade mit einer EU-Klage droht. Trotz dieser Gefahr geben solche Aktionen für Frauen eine wichtige Bühne ab, sich zu artikulieren, kann ihnen Gubitzer als positiven Punkt abgewinnen.. Lydia Ninz