Inland
Schwere Vorwürfe gegen Österreichs Haftanstalten
"Falter": Zellen ohne Fenster, Minusgrade in Sonderhafträumen, kalte Duschen für Renitente, nächtelange Fesselungen
"Ich kann mir das nicht vorstellen. Die Zelle wäre ja wie eine nach
aussen offene Höhle", sagt Karl Drexler vom Justzministerium in der am Mittwoch erscheinenden Ausgabe des "Falter
". Was sich
der Beamte nicht vorstellen kann, ist durch die Aussagen von drei
Justizwachebeamten bestätigt: In den Sonderhafträumen der Justizanstalt
Linz werden "aus Sicherheitsgründen" die Fenster ausgehängt. Und zwar im
Winter. Mehr noch: Der Häftling Rueben O., vertreten durch den Linzer
Rechtsanwalt und Verfassungsprofessor Bruno Binder, behauptet, von
Beamten in so einer eisigen Zelle mit "kaltem Wasser überschüttet, mit
Pfefferspray angesprüght und mit dem Gummiknüppel geschlagen worden zu
sein".
Nicht nur in Linz, auch in Wien werden ähnliche Vorwürfe erhoben: Ein
Aids-Kranker Häftling der Justizanstalt Favoriten behauptet ebenfalls,
in einer Zelle ohne Fenster untergebracht worden zu sein. Auch dringende
medizinische Betreeung sei ihm "aus Kostengründen" versagt worden. Im
Grauen Haus wiederum wurde ein Häftling eine ganze Nacht lang mit Armen
und Beinen ans Bett gefesselt. Die skandalösen Umstände werden von der
Justiz teilweise sogar bestätigt.
Die Vorwürfe im Detail:
Der Fall Rueben O.: Ein paar Tage vor Weihnachten des letzten Jahres
wird der Häftling Rueben O. vom Krankenhaus in den Sonderhaftraum 218
des Landesgericht Linz überstellt. Der Afrikaner ist nur mit einer
Unterhose bekleidet. Das Fenster der Zelle ist ausgehängt. "Als ich
sah, dass in dieser Zelle das Fenster herausgenommen war habe ich einen
Beamten ersucht, er möge mir einen Jogginganzug bringen", so O. in
seiner Beschwerde. Auf der Pritsche sei nämlich nur eine Decke gelegen
und in der Zelle hätte es "beihnahe Minusgrade" gehabt. O. weigert sich
die Zelle zu betreten. Es kommt zu einer Rangelei. Die Ursache wird von
beiden Seiten anders geschildert: "Nachdem ich die Bitte vorgetragen
hatte, bekam ich von einem Beamten einen Stoß und ging zu Boden. Dagegen
habe ich mich gewehrt. Anschliessend wurde ich mit kaltem Wasser
überschüttet, mit Tränengas oder Pfefferspray angesprüht und mit dem
Gummiknüppel geschlagen", gibt Rueben O. zu Protokoll. Auch Mithäftlinge
schildern vor Gericht, dass der Häftling unter den Worten "Gib ihm ein
paar! Spritz ihm was! Gib ihm noch eine Ladung" mit einer "Gummiwurst"
geschlagen worden sei. Im Justizministerium wird betont, dass die
Beamten den Häftling bändigen mussten. O. sei als gewaltbereit bekannt,
hätte sich selbst und andere verletzt und "wie wild um sich gebissen".
Wie auch immer. Doch muss man im Winter "aus Sicherheitsgründen" das
Fenster aushängen und den Häftling in Unterhosen in die Zelle setzen?
Die untragbaren Zustände werden von den Beamten des Landesgericht Linz
vor Gericht auch gar nicht abgestritten. So gibt der Beamte Georg S. vor
Gericht an: "Es ist Standard das Fenster auszuhängen, da sich jemand
verletzten könnte". Auch sein Kollege Kurt T. bestätigt, dass "das
Fenster ausgehängt wurde". Im Justizministerium versucht man die Sache
runterzuspielen. Karl Drexler: "Die Zelle wurde sicherlich ordentlich
beheizt. Das Fenster war ja nur sehr klein. Was soll man den machen,
wenn ein Häftling revoltiert?".
Zufall?
Auch in der Justizanstalt Favoriten schildert Johann H.,
ein HIV-infizierter Häftling, dass in seiner Zelle "keine Fenster
installiert sind". In einem, dem Falter vorliegenden Brief schreibt H.,
der wegen seiner Krankheit bereits viermal für haftuntauglich erklärt
wurde: "Die hygienischen Zustände waren gelinde gesagt katastrophal. Das
WC wird mit einer Holzwand abgetrennt. Die Verpflegung bestand zumeist
aus tiefgefrorenen Lebensmittel". Mehrere Tage sei kein Arzt anwesend
gewesen. Die Vorwürfe werden im Gegensatz zu Linz von Anstaltsleiter Dr.
Werdenik zurückgewiesen: "Jeder kann sich anschauen, dass wir Fenster
installiert haben". Von tiefgefrorenem Essen könne "keine Rede" sein.
Bestätigt werden von Werdenik aber andere Vorwürfe des aidskranken
Häftlings, der von der Justizanstalt Stein für eine Psychotherapie in
die Sonderanstalt Favoriten überstellt wurde. In Favoriten angekommen,
klagte der Schwerkranke nämlich über schwere Infektionen der Lungen und
Bronchen. "Ich habe mir eine Lungenentzündung geholt"; so Johann H..
Auch sein Mithäftling schildert, dass der HIV-positive Mann tagelang mit
Fieber und Schüttelfrost im Bett gelegen sei.
Der Zustand muss ernst gewesen sein. Auf der HIV- Ambulanz auf der
Baumgartner Höhe ordnet der behandelnde Arzt eine sofortige stationäre
Aufnahme an. Doch in der Justizanstalt Favoriten, die sich auf
Drogenkranke Häftlinge spezialisiert hat, wird die Behandlung „aus
Kostengründen“ nicht bewilligt. Die Anstaltsleitung stellte den Häftling
vor die Wahl: entweder Psychotherapie oder Krankenhaus. Beides sei nicht
möglich. Anstaltsleiter Werdenik: "Der Häftling sollte bei uns eine
Therapie machen. Schon nach wenigen Tagen wollte er ins Spital. Das
hätte er auch in der Anstalt Stein machen können. Ich habe Herrn H.
erklärt, dass er hier einen wertvollen Platz für eine Psychotherapie in
Anspruch nimmt. Unsere Anstalt ist keine Hintertüre für bessere
Haftbedingungen". Daraufhin, so Werdenik, hätte der Aidskranke auf die
stationäre Aufnahme verzichtet.
Im Klartext: Wer hinter Gittern eine Psychotherapie in einer
Sonderanstalt absolvieren und nicht nur einfach eingesperrt sein will,
darf nicht krank werden. Sonst ist er seinen Platz wieder los.
Anstaltsleiter Werdenik: "Natürlich hat der Mann ein betrübliches
Schicksal. Das Gefängnis ist für ihn nicht der ideale Ort". Vor kurzem
wurde H. trotzdem wieder nach Stein verlegt: "Währen der letzten
Monate", behauptet der Häftling, "sind meine Immunwerte drastisch
gesunken, sodass man davon ausgehen kann, dass die Krankheit
ausgebrochen ist".
Auch in der Justizanstalt Josefstadt sickern skandalöse
Haftbedingungen durch. So wurde Johann T. (Name geändert) eine ganze
Nacht mit Händen und Füssen an ein Bett gefesselt. Begründung: Der Mann
wäre von einem Hafturlaub betrunken ins Gefängnis zurückgekommen und
hätte im Suff ein Netzbett beschädigt. Seine Anwältin Ingrid Weiss
erhob Beschwerde gegen diese "menschenunwürdige Behandlung". Ihre
Begründung: "Die Fesselung beider Arme an ein Netzbett ist eine
erniedrigende Behandlung". T. sei "wie ein Tier" gefesselt worden. Er
hätte sich nicht einmal kratzen können. Hätte er sich übergeben müssen,
wäre er vermutlich erstickt.
Das Oberlandesgericht Wien jedoch verurteilte H., weil er sich gegen die
stundenlange Fesselung wehrte und "einen Uniformpullover zeriss", wegen
"Widerstand gegen die Staatsgewalt" zu drei Monaten unbedingter Haft.
Der Richter am Oberlandesgericht Wien in seiner Begründung:
"Wahrscheinlich hätte ich mich gegen so eine Fesselung auch gewehrt".
Doch rechtlich, bedauert der Richter, "ist das leider irrelevant". (Falter, 22. 11. 2000)