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Die Experten des amerikanischen Wetter- und Ozeandiensts NOAA staunten nicht schlecht, als sie 1995 die Daten einer groß angelegten Messkampagne auswerteten, die neue Aufschlüsse über die Ozonbildung bringen sollte. Im Südosten und Osten der Vereinigten Staaten hatten die Messstationen und -flugzeuge extrem hohe Kohlenmonoxidwerte geliefert. Allein der Verursacher für die stark erhöhten Konzentrationen konnte auch mit den ausgefeiltesten Simulationsrechnungen weit und breit nicht gefunden werden. "Die Modelle funktionierten einfach nicht, weil sie nur die anthropogenen Emissionen in Betracht zogen", so Gerhard Wotawa, der sich an der Universität für Bodenkultur lange Zeit mit der Ausbreitung von Luftschadstoffen beschäftigt hat. Zusammen mit Kollegen der NOAA ging er der Vermutung nach, dass vielleicht Waldbrände im Norden des Kontinents die Ursache für dieses Phänomen gewesen sein könnten. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen wurden Mitte des Jahres im Fachmagazin Science veröffentlicht. Mit Hilfe eines an der Boku entwickelten Trajektorienmodells konnte der Meteorologe die CO-Quellen anhand der damals herrschenden Luftströmungen ziemlich genau zurückverfolgen. Neben den Ballungsgebieten an der Ostküste und in Kalifornien kristallisierte sich dabei eine sehr starke Emissionsquelle in unbewohntem Gebiet heraus: die kanadischen Northwest Territories. Vor und während der Messkampagne hatten dort großflächige Waldbrände gewütet und ein Gebiet von annähernd der Fläche Österreichs zerstört. Die Wissenschafter sammelten daraufhin genauere Informationen über die größten Brandherde und die dabei emittierten Schadstoffe - neben Kohlenmonoxid auch organische Verbindungen und Aerosole. Am Computer wurden schließlich die natürlichen und anthropogenen Emissionen wieder auf die Reise gen Süden geschickt. Und siehe da: Plötzlich stimmten die Simulationsdaten mit den Messwerten fast haargenau überein - ein Beweis dafür, dass die Emissionen der Waldbrände im Gefolge einer Kaltfront Richtung Südosten transportiert worden waren, immerhin über eine Entfernung von rund 3500 Kilometer quer über den gesamten Kontinent. Während Kaltfronten aus dem Nordwesten üblicherweise die Luft reinigen, hatten sie in diesem Fall, wie sich herausstellte, den gegenteiligen Effekt. Aufgrund der trockenen Witterung wurden die Schadstoffe nicht ausgewaschen, sondern in der Atmosphäre angereichert. Das überraschende Resultat: Im Jahr 1995 waren die Waldbrände im hohen Norden für 36 Prozent der gesamten CO-Emissionen der USA verantwortlich, in den beiden Wochen der Messkampagne sogar für den weitaus größten Teil der CO-Belastung in diesem Gebiet. Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hauptverursacher der Luftverschmutzung nach wie vor der Mensch ist. Doch während die Emissionen aus Verkehr und Industrie lokal beschränkt bleiben, ist der Wirkungskreis von Waldbränden bedeutend größer. "Die Rauchfahnen können durch die starke Überhitzung des Bodens bis 4.000 Meter hoch aufsteigen", so Wotawa, "In dieser Höhe werden sie dann mit höherer Windgeschwindigkeit weitertransportiert". Lassen sich die Erkenntnisse aus diesem Projekt auch auf Europa umlegen? Immerhin brannten auch hier im heurigen Sommer große Waldflächen in den Mittelmeerländern. Wotawa: "Brände in Europa sind üblicherweise viel kleinräumiger und werden in den dicht besiedelten Gebieten auch sofort bekämpft. Die borealen Wälder von Kanada und auch Russland liegen dagegen oft fernab jeder Zivilisation. Waldbrände können dort manchmal ein ganzes Jahr durchbrennen. Das Freisetzungspotenzial an Schadstoffen ist daher in Europa wesentlich geringer." Allerdings können die Auswirkungen weit entfernter Waldbrände auch hier spürbar sein. So wurde 1998 bei einer deutschen Messkampagne im Umkreis von Berlin in rund vier Kilometern Höhe eine hunderte Meter dicke Schicht mit hohen Ozon- und Rußkonzentrationen entdeckt. Mit dem Wiener Simulationsmodell konnte in Zusammenarbeit mit deutschen Universitäten eindeutig nachgewiesen werden, dass auch diese erhöhten Schadstoffkonzentrationen auf große Waldbrände in Kanada zurückzuführen waren: Genau nach dem am Computer errechneten Fahrplan erreichte die Rauchfahne nach etwa drei Tagen Berlin. In den gemessenen Konzentrationen hat Kohlenmonoxid noch keine gesundheitlichen Auswirkungen, ist aber zusammen mit den ebenfalls in den Rauchfahnen enthaltenen Stickoxiden und organischen Verbindungen maßgeblich an der Bildung von Ozon und anderen Treibhausgasen beteiligt. Zwar bleibt der Abluftcocktail aus dem Verkehr nach wie vor der Hauptverursacher des bodennahen Ozons. Wenn der lokale Ozonpegel aber bereits erhöht ist, könnten die schadstoffbelasteten Luftschichten aus dem Norden, zumindest episodisch, einen größeren Einfluss auf die Luftqualität in mittleren Breiten ausüben als bisher angenommen. Die Resultate sind aber auch vor dem Hintergrund der Diskussion über die globale Erwärmung von großem Interesse. Bisher galten die borealen Wälder als Kohlenstoffsenken, weil sie mehr Kohlendioxid binden als freisetzen. "In Jahren wie 1995 und 1998 wird durch die größere Anzahl von Bränden aber eine sehr große Menge an CO2 in die Atmosphäre abgegeben", so Wotawa. "Es ist daher sehr fraglich, ob die borealen Wälder ihre Rolle als Nettosenken auf Dauer erfüllen können." Der Wissenschafter befürchtet, dass sich die Situation in Zukunft noch verschärfen wird, denn in Kanada ist die Anzahl der Waldbrände in den letzten Jahrzehnten um mehr als die Hälfte angestiegen. Die Gründe dafür - geringere Niederschlagsmengen, höhere Temperaturen und erhöhte Blitzaktivität - könnten gängigen Hypothesen zufolge bereits erste Folgen einer Klimaumstellung sein. Für Wotawa ist es daher höchste Zeit, die Waldbrände im hohen Norden verstärkt in die Modellrechnungen zur Ozonbildung und auch in globale Klimamodelle aufzunehmen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26. 11. 2000)