Wien - Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) haben Dienstag abend in Wien ihre unterschiedlichen Positionen zur künftigen EU-Kommission bekräftigt. Während Chirac davor warnte, dass im Zuge der Erweiterung der Union eine wachsende Anzahl von EU-Kommissaren die Arbeit der Kommission lähmen könne, erneuerte Schüssel den österreichischen Standpunkt, dass jedes Land einen eigenen Kommissar haben müsse. Zur FPÖ sagte Chirac, es gebe weiterhin Anlass zur Wachsamkeit. Einig waren sich Schüssel und Chirac hinsichtlich der Bekämpfung der Rinderseuche BSE. Nach der zweistündigen Unterredung im Bundeskanzleramt sprach Chirac von einer "eingehenden Diskussion", bei der es in erster Linie um die Regierungskonferenz sowie um "Probleme, die das Leben der europäischen Bürger betreffen", gegangen sei. Schüssel bezeichnete die Unterredung als "sehr offen, sehr konstruktiv und ehrlich". "Natur der FPÖ" gibt Anlass zur Wachsamkeit Angesprochen auf die Sanktionen der EU-14 gegen Österreich nach der VP-FP-Regierungsbildung sagte der französische Präsident: "Jeder weiß, wie die Dinge stehen. Im Gefolge der Regierungsbildung in Österreich ergriffen die 14 bilaterale Maßnahmen, ich betone, bilaterale - nicht multilaterale." In der Erklärung der 14 zur Aufhebung der Maßnahmen sei betont worden, dass bezüglich der "Natur der FPÖ" Anlass zur Wachsamkeit bestehe. "Ich habe dieser Erklärung der 14 nichts hinzuzufügen", betonte Chirac. Der französische Präsident äußerte die Überzeugung, dass "eine Kommission mit zu vielen Mitgliedern gelähmt würde". Frankreich sei an einer "soliden und effizienten Kommission interessiert" - mit gewissen hierarchischen Strukturen und begrenzter Mitgliederzahl. Er werde aber versuchen, einen Kompromiss zu finden, versprach Chirac. Punkte der Übereinstimmung Es gebe mit Österreich Punkte der Übereinstimmung und der Nicht-Übereinstimmung, was im gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen "natürlich" sei, resümierte der französische Präsident. Bezüglich der künftigen Zusammensetzung der europäischen Kommission sei man nicht einer Meinung, bei anderen Themen "sieht es mehr nach Fortschritten aus". Er könne den Wunsch verstehen, dass Länder ihren eigenen Kommissar behalten wollen, das Ziel sei aber, dass die Kommission auch künftig effizient arbeiten müsse. Nach den Worten Chiracs wurden auch Probleme angesprochen, die für Österreich "von speziellem Interesse" seien. Der französische Staatschef nannte Transitfragen, die Wasser- und Umweltfragen, das Asylrecht und die illegale Einwanderung. "Unser heutiges Gespräch war außerordentlich nützlich und positiv", fasste Chirac zusammen. Er wollte sich ein Bild über die Position Österreichs zu Sachthemen machen. Zusatz: "Ich freue mich sehr, nach Wien gekommen zu sein." Schüssel: österreichische Position "klar dargelegt" Schüssel betonte seinerseits, er habe die österreichische Position "klar dargelegt". Es gebe - wie auch zwischen anderen Staaten - in einigen Belangen unterschiedliche Positionen, doch auch sehr viel Gemeinsames - wie etwa in der Asylpolitik und in Handelsfragen. Hinsichtlich der Verteidigungspolitik erwarte er sich von Nizza "einen Quantensprung" in der europäischen Kooperation. Das Thema EU-Sanktionen und Weisenbericht sei nicht auf der Tagesordnung seines Gespräches mit Chirac gestanden sagte Schüssel. "Für mich sind die vergangenen acht Monate der Sanktionen Geschichte." Der Bundeskanzler sagte weiters, er sei "stolz", dass die Österreicher "in dieser schwierigen Zeit nie den Glauben an die europäische Zusammenarbeit und die europäische Familie verloren haben". Übereinstimmung bei BSE Bekämpfung Völlige Übereinstimmung zwischen Frankreich und Österreich herrscht hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Rinderseuche BSE. Chirac und Schüssel sprachen sich vor der Presse für eine europäische Lebensmittelagentur, effiziente Tests, ein Verbot bei der Tiermehlfütterung und Entschädigungszahlungen für die betroffenen Landwirte aus. Chirac sprach von einer "sehr gefährlichen Seuche", die auf europäischer Ebene zu bekämpfen sei. Wichtig sei, dass das Auftreten der Seuche flächendeckend erkannt werde. Überdies forderte Chirac ein Verbot der Fütterung von Tiermehl bei Geflügel, Schweinen und Zuchtfischen. Einig bei Schadenersatzzahlungen Wie Chirac trat auch Schüssel für die Förderung der pflanzlichen Eiweisproduktion anstelle von tierischen Proteinen ein. Einig waren sich beide Politiker auch über Schadenersatzzahlungen an die betroffenen Rinderzüchter. Schüssel hofft auf eine Entscheidung für ein europaweites Fütterungsverbot von Tiermehl beim Agrarministerrat am kommenden Montag. Bei der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt herrschte ein großer Andrang der schreibenden und fotografierenden Presse. Chirac und seine Begleitung reisten anschließend nach Paris zurück, um die Tour des Capitales am Mittwoch in Madrid fortzusetzen. Mit Wien, der siebenten Station der EU-Hauptstädte-Tour, hat Chirac die Halbzeit seiner Rundreise absolviert. Chirac hatte seine Tour am vergangenen Mittwoch in Brüssel begonnen, letzte Etappe wird Hannover sein. (APA)