Geschlechterpolitik
Die Frau mit Kaffee und Kondomen
Caritas Linz bekommt Menschenrechtspreis für Betreuung von Prostituierten
Die Frau mit Kaffee und Kondomen Seit zwei Jahren kümmern
sich Caritas und "Lena" um die Gesundheit von Prostituierten
in Linz. STANDARD-Mitarbeiterin Andrea Waldbrunner begleitete
eine Sozialarbeiterin in ihrem Job zwischen Idealismus und
Frustration.
Linz - Jeden Mittwoch geht Helga Ratzenböck mit ihrem orangeroten Korb zum Gesundsheitsamt beim Magistrat Linz. Sie ist
"die Frau mit dem Kaffee und den Kondomen". Helga trifft dort jene, die als "vorhanden" von jedermann in der Gesellschaft
akzeptiert, aber ohne Respekt behandelt werden: Prostituierte. Für den wöchentlichen Gesundheitscheck kommen sie zum
Amt. Sie tratschen dann miteinander - über das Geschäft und die Männer, sogar über Verliebtheiten und Zukunftspläne. Auch
Neugierige sind oft da am Amt "zum Schauen", das empört Helga Ratzenböck jede Woche aufs Neue.
Sind die Frauen gesund, gibt es den Stempel in den "Deckel" - das Gesundheitsbuch. Und Helga verteilt dann nebenbei
Kondome und Hygieneartikel an die Frauen, informiert bei Kaffee "und ab und zu Kuchen" über Aids und
Geschlechtskrankheiten.
Job am Rande
Helga arbeitet seit zwei Jahren als Sozialarbeiterin für das Projekt "Lena" der Caritas Oberösterreich. Helga sitzt auf ihrem
Stuhl im Büro, zuckt die Achseln und lächelt. "Weil sie ihre Familie hat", hält sie es aus, "am Rande der Gesellschaft tätig zu
sein". Oft fühle sie sich aber "echt hilflos", und Helgas Wangen werden rot: Weil sie nichts tun kann, wenn die Frauen von
Kunden belästigt oder sogar geschlagen werden. Sie darf nicht anzeigen, nur zuhören und trösten. Wieder ein Achselzucken
von der blonden Sozialarbeiterin.
Den Grund, den Job auf der Straße zu machen, liefern für Helga die Prostituierten selbst: Wenn sie von alleine zu ihr kommen
und ihr erzählen. Oder wenn sie ihnen "wieder Selbstachtung einflößen kann". Das sei das Wichtigste in ihrer Arbeit: "Die
Frauen als Menschen anzunehmen und ihnen mit Respekt zu begegnen." Denn viele von ihnen würden sich selbst "als
schlechte Menschen" sehen.
Insgesamt vier Sozialarbeiterinnen kümmern sich seit 1997 um Frauen, die in der Prostitution arbeiten; ob legal oder illegal,
freiwillig oder unfreiwillig. Danach fragt bei "Lena" in der Linzer Steingasse niemand. Jetzt hat das Land Oberösterreich dem
Projekt den Menschenrechtspreis 2000 zugesprochen.
Es geht vor allem um Beratung bei "Lena". Das und "das Akzeptieren der Spielregeln der Szene" machen das Arbeiten auf der
Straße möglich. Die Zuhälter haben "Lena" anfangs kritisch beäugt. Jetzt treffen die Sozialarbeiterinnen die Mädchen und
Frauen sogar in deren Klubs. Der Erstkontakt läuft vor allem über Mundpropaganda in der Prostituiertenszene selbst.
107 "Registrierte"
Alleine in Linz arbeiten rund 107 "Registrierte". Mit der Registrierung arbeiten die Frauen in Oberösterreich legal. Gebunden ist
die Legalität an Gesundheitsbuch, Meldezettel, Krankenversicherung und Steuernummer. Damit wird auch Gewerbesteuer
fällig. Die Zahl der "Nichtregistrierten" schätzt die Polizei doppelt oder dreimal so hoch.
Für Helga Ratzenböck eint die Frauen vor allem ein Grund, in der Prostitution zu arbeiten: "Geld". Mädchen aus Osteuropa
hoffen auf den schnellen Reichtum. Junge Frauen ohne Ausbildung glauben an einen lukrativen Job. Sie unterschätzen aber,
dass der Job teuer ist. Viel Geld brauchen sie, um Kunden zu befriedigen: für ein Zimmer, für schicke Kleidung, den
gepflegten Körper. Irgendwann kommen sie wieder zu Helga Ratzenböck - und beklagen hohe Schuldenberge. Und Helga
tröstet und bekommt wieder rote Wangen, wenn sie daran denkt - weil sie nichts tun kann außer zuhören. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 4.1.2000)