"Man muß bei Römern sich oft Römisch stellen an", umschreibt der Breslauer Barockdichter und äußerst erfolgreiche Berufspolitiker Casper Daniel von Lohenstein die Weisheit jedes Karrieristen: Wer nach oben will, sprich an die Macht, muss wissen, wie die Sprache lautet, die der Mund führt, nach dem er reden will. Lohenstein kannte seinen Gracián, bei dem es auführlicher heißt: "Gelehrt mit den Gelehrten, heilig mit den Heiligen. Passe dich an, aber bleibe du selbst. Beobachte die andern, wie sie reden, sich bewegen, und versuche dann - wie ein Schauspieler - ihr Verhalten in der Gesellschaft zu imitieren, ja besser als ein Schauspieler, denn dein Verhalten sollte stets natürlich wirken. Nur so erwirbst du die große Kunst, alle zu gewinnen, denn Übereinstimmung schafft Wohlwollen." Schauspieler sein, Übereinstimmung schaffen, Wohlwollen herstellen: Die klassische Rhetorik war nicht weniger direkt in ihren Anweisungen als NLP-Seminare heute. "Gut" ist eine Kategorie des Erfolgs, nicht der Moral. Und schon bei Hof war die falsche Perücke eine Katastrophe, das falsche Halstuch unverzeihlich, die falsche Geste ein gesellschaftliches Todesurteil. Lohenstein musste es wissen, denn als protestantischer Bürger aus der Provinz kam er an den Habsburger Hof, um Freiheiten für Schlesien zu erhandeln. Gründliche Kennt-nisse des "Römischen" konnten da nicht schaden. Und die lernte man eben bei dem Jesuiten Baltasar Gracián. Gracián, der nach manchen Quellen heute vor 400 Jahren im spanischen Calatayud geboren wurde, trat früh dem Jesuitenorden bei, lehrte bald Philosophie, Moraltheologie und Exegese und wurde relativ jung zum Rektor des Collegiums Tarragona ernannt, das er bis zu seinem Tod 1658 leitete. So weit, so geradlinig - gäbe es da nicht ein rhetorisches Doppelleben. Ganz unchristlich profan nämlich waren die Heilslehren, die der Jesuitenpater in seinen weltlichen Schriften verkündete. Der Held , Der Politiker , Der Hofmann setzten Handelsmaximen, in denen Gott überflüssiger war als die höchst menschliche Schläue. Weshalb Gracián die eine oder andere Rüge "von oben" hinnehmen musste, obwohl das Schrifttum doch unter dem Namen eines anderen - seines Bruders Lorenzo Gracián - erschien.
Der glückliche Ausgang
Viel aber hatte Gracián von den erzürnten Ordensbrüdern wohl nicht zu fürchten: Am spanischen Hof nämlich, von dessen Macht die Jesuiten nicht unerheblich gestützt wurden, las man die Weisungsschriften des Lehrers äußerst gern. Was Gracián in seinen Publikationserwägungen durchaus berücksichtigt haben mag, heißt doch eine seiner goldenen Regeln: "Den glücklichen Ausgang im Auge behalten." Später, als die Bürger und ihre jungen Demokratien erst einmal Tugend und Sein höher schätzten als den überzeugenden Schein, wurde Gracián weniger gelesen. In Deutschland allerdings entdeckte Arthur Schopenhauer seine Liebe für den Spanier und übersetzte das Oraculo manual , die 300 Maximen zur Kunst der Weltklugheit . Ein Verleger fand sich erst nach Schopenhauers Tod, dann aber wurde das Werk zu einem Bestseller des späten 19. Jahrhunderts. Und heute? - Wird wieder eifrig Gracián zitiert: Robert Greenes Machiavellisten-Handbuch Power beruft sich auf den Vorgänger, und in den vergangenen Jahren erschien die eine oder andere Neuübersetzung, das Handorakel ist in neun verschiedenen Ausgaben auf dem Markt, und in wenigen Wochen wagt der Schweizer Ammann-Verlag die Herausgabe des Graciánschen Hauptwerks El Criticón , eines allegorischen Romans, in einer 1000-seitigen Neuübersetzung. Doch "große Glücksfälle setzen den nicht in Verlegenheit, der noch größerer würdig ist". Eben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 1. 2001)