Das Mysterium eines Gruppenselbstmords und den vergeblichen Versuch, es zu ergründen, fasst Sofia Coppola in einen Film, der jenseits von Erklärungsmustern fließende Schwebezustände generiert. Von Isabella Reicher. Wien - Wie gelangt man in Innenwelten? Und was meint man, dort zu finden, das sich dem Blick auf materielle Oberflächen, in Mädchenzimmer oder Tagebücher, auf Gesichter und Gesten entzieht? "What's inside a girl?", sangen einst die Cramps. Versuchen wir's mit einem Rorschachtest: Eine Banane, einen Sumpf und einen Afro sieht Cecilia (Hanna Hall) auf den Testkarten des Psychologen, der sie nach ihrem Selbstmordversuch behandeln soll. So wie Cecilia sich trotzig dem Interpretationsspiel verweigert, das ihre Motive ergründen helfen soll, verweigern sich auch die Filmbilder einer Lesart, die davon ausgeht, dass sie tiefere Bedeutung verbergen. Die Kamera bleibt über lange Strecken statisch, die Einstellungen wirken häufig wie Schnappschüsse oder Fotografenporträts. Erinnerungen an die Lisbon-Girls, die Mitte der 70er-Jahre in einer aufgeräumten US-Vorstadt leben und aus dem Leben scheiden. Die Geschichte der fünf Mädchen wird von den Nachbarjungen erzählt (oder imaginiert, die Grenzen sind fließend). Eine gängige Konstellation. Aber diese Geschichte handelt auch davon, wie sich die Mädchen fortwährend der Festschreibung durch ihre Chronisten entziehen: "Wir wussten, dass sie alles über uns wussten, und wir konnten sie umgekehrt in keinster Weise ergründen", heißt es nach Cecilias Tod, wenn die Jungen ihr Tagebuch in Händen halten und fest-stellen müssen, dass sich darin vor allem Notate jener Beiläufigkeiten finden, die die "Gefangenschaft im Mädchendasein" ausmachen. Langsamer Rückzug Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Türen des Lisbon-Hauses bereits geschlossen. In den Zimmern nistet sich die Dunkelheit ein. Der Vater (James Woods) sitzt vor dem Fernseher, die Mutter (Kathleen Turner) bleibt in ihrem Schlafzimmer, die Schwestern verschmelzen, auf dem Boden zwischen ihren verstreuten Magazinen, Platten, Kleidern liegend, zu einer seltsam verführerischen Einheit, richten sich ein in ihrer eigenen Welt, die zugleich Zuflucht bietet und ihren langsamen, gemeinsamen Rückzug aus dem Leben einleitet. Mit dem Beginn des Schuljahres kehren die Schwestern (und ihr Vater, der Mathematiklehrer) noch einmal in die Außenwelt zurück. Zwischen Lux Lisbon (Kirsten Dunst) und dem Schulschwarm Trip Fontaine (Josh Hartnett) entwickelt sich eine kurze, leidenschaftliche Liebe. Ob schließlich die elterlichen Strafmaßnahmen oder Trips Verrat zur finalen Katastrophe führen - auch die akribisch zusammengetragenen Andenken verhindern nicht, dass die Mädchen "entgleiten, zu Schatten werden". Zwei Filme aus den 70er-Jahren fallen einem ein, während man die lichtdurchfluteten (Traum-)Bilder betrachtet: Picknick At Hanging Rock (1975) von Peter Weir und Carrie (1976) von Brian De Palma. Der eine erzählte seine Teenager-Initiationsgeschichte als mysteriöses Verschwinden in eine Zwischenwelt. Der andere machte daraus ein blutiges Schauermärchen. The Virgin Suicides liegt irgendwo dazwischen. Verstohlene Blicke Er verzichtet bewusst auf eine (psychologische) Erklärung, hält das Drama, das sich hier ereignet, im Hintergrund. Und deutet in verstohlenen Blicken von Eltern auf ihre ihnen fremd gewordenen Teenager an, dass es sich in hundert anderen Fällen vielleicht auch anders lösen würde. Sofia Coppola, selbst Jahrgang 1971, hat - nach Schauspielauftritten (Der Pate III, Inside Monkey Zetterland, u. a.), Fernseharbeiten in Kollaboration mit Zoe Cassavetes (die wie Coppola aus einer legendären Filmfamilie stammt) oder dem Kurzfilm Lick The Star (1998) - mit The Virgin Suicides ihren ersten Kinofilm gedreht. Das stumme Einverständnis seiner Heldinnen verbindet er zu Impressionen einer Befindlichkeit, deren Wertung er konsequent vermeidet. Ab 19.1. im Kino (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 18.01. 2001)