Ein Kammerspiel als Kostümmelodram als Kunst- und Volksstück: Claus Philipp über einen Film als berührende Abhandlung über Optik und Emotion.

Wien – "Kunst ist in jedem Fall was Gemachtes", schrieb Rainer Werner Fassbinder im Jahr 1980: "Und auch Schauspieler werden gemacht. Film hat auch damit was zu tun, dass der Regisseur weiß, für welche Emotion er welche Optik benützen muss."

Wenn man jetzt nur das Beste über François Ozons Adaption des frühen Fassbinder-Stücks Tropfen auf heiße Steine sagen kann, dann auch deshalb, weil der Filmemacher das mit dem "Gemachten" kongenial verinnerlicht hat. Ozon weiß, dass das "Gemachte" dem Betrachter nicht zuletzt gerade dann als "gemacht" bewusst wird, wenn sich der Regisseur um realistische Detailtreue bemüht.

Man könnte von einer Abstraktion aus historischer Recherche heraus sprechen, wenn etwa Martin Scorsese in The Age of Innocence die Rekonstruktion einer Epoche bis in exakte Handschuhmodelle von Opernbesuchern im New York des 19. Jahrhunderts hinein verfolgt. Und auch gewisse hyperrealistische Rollenannäherungen des Method-Acting wirken gerade in ihrer gestellten Echtheit doppelt und dreifach manieriert.

Tropfen auf heiße Steine, 1966 als (Kunst-)Volksstück im Gefolge der Dramen von Horváth geschrieben, ist in Ozons Deutung ebenfalls ein Kostümmelodram. In ausgebleichten Fototapeten-Farben präsentiert sich zuerst das Großstadtdeutschland der späten 60er. Die Wohnung, in der der Versicherungsvertreter Leopold (Bernard Giraudeau) und sein Geliebter Franz (Malek Zidi) aneinander leiden: Sie wird gerade in ihrer historisch korrekten Ausstattung zum Bühnenbild.

Was ist hier aber das zeitgenössisch Spezifische? Warum müssen die Charaktere in einer französischen Version ihre deutschen Originalnamen bewahren? Das mag der Betrachter fragen – und er erliegt darin bereits einem Effekt, von dem Fassbinder ebenfalls 1966, bei der Aufnahmeprüfung zum Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), schrieb – Brecht habe genau dies dem zu geben, der Filme machen will: "Den Verfremdungseffekt, der im Film auf die verschiedensten Arten angewendet werden kann."

"Nicht ausreichend"

Wem das zu simpel klingt, der sei erinnert: Fassbinder war damals gerade 21 Jahre alt. Und weil er einfach immer so dahinschrieb, was ihm gerade so einfiel, weil er in dem Sinne nie strategisch dachte, wurde er auf der DFFB auch nicht aufgenommen: "Nicht genügend vorgebildet", notierte damals ein Prüfer, und: "Filme: Nicht ausreichend".

Tropfen auf heiße Steine ist nun, in markanten kurzen Sätzen und beredten Leerstellen, gleichsam ein Drama der "nicht genügend Vorgebildeten", von dem es heißt, Fassbinder hätte darin gleichermaßen auch die eigenen Grenzen im Umgang mit Frauen und Männern thematisiert. Fortlaufend eröffnet das Stück Momente, in denen einer der Protagonisten, in seine Hilflosig- und Grausamkeit verstrickt, auf der Strecke bleiben könnte.

Fragt sich nur: Wer? Leopold, den Giraudeau als herrschsüchtigen Zwängler und kapriziöses Aktenkoffer-Raubtier spielt, droht den Hass in Franz' Liebe zu übersehen. Franz demütigt die ihm zunehmend auferlegte Heimchenrolle ebenso wie die mangelnde Eifersucht seiner Freundin Anna (Ludivine Sagnier), die ihrerseits in ihrer jungmädchenhaften Begeisterung für Liebesexperimente besonders exponiert und gefährdet ist. Und da wäre noch Vera (Anna Thomson): Ihre mühsam aufrechterhaltene Schönheit erzählt von Erniedrigung und Schmerz.

Fassbinder dürfte 1966 mehr geahnt als gewusst haben, dass man in solchen Konstellationen gut daran tut, Artikulationsprobleme wirkungsvoll auszuspielen:

Auch er fand schon im Stück Auswege für körperliche Artikulation in Musikzuspielungen, die nun bei Ozon wiederum subtile Kommentare zu einer Balance zwischen Konstruktion und reiner Emotion, einer Geschichte und Kulturgeschichte darstellen. Etwa, wenn Françoise Hardy ihren einzigen deutschsprachigen Hit Träume intoniert. Oder der Bierzeltrefrain Tanze Samba mit mir vier französische Schauspieler in eine eigentümlich kontrollierte Verzückung treibt: "Du bist so heiß wie ein Vulkan..." Und da ist, wie schon der Titel andeutet, auch jede heiße Träne schnell verdampft.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 1. 2001)