Baden - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat am Freitagnachmittag darauf hingewiesen, dass sich Österreich jetzt wirtschaftlich in einer "kritischen Situation" befinde. Im Moment seien die Wirtschaftslage und die Beschäftigungsdaten noch gut, aber "wir wissen nicht, ob die Konjunktur hält oder einbricht", sagte Schüssel vor rund 250 Arbeiterkammerräten des ÖAAB in Baden. Er verteidigte die Sparmaßnahmen und stellte die Frage, wann, "wenn nicht jetzt müssen wir unsere Hausaufgaben machen, um mit einer möglichen Rezension fertig zu werden". Treffsicherheit in der Sozialpolitik bedeute für ihn, dass jene Hilfe bekommen sollen, die sie auch brauchen. In der Vergangenheit habe es "viele Mitnahmeeffekte" gegeben. Zum Markenzeichen der Sozialpolitik der ÖVP will Schüssel "das zentrale Thema der Arbeit" machen. Es müsse die Kernkompetenz der ÖVP sein, Arbeit zu erhalten, neue Arbeitsmöglichkeiten aufzuspüren und abzusichern. Deshalb sei auch ein "Anti-Klassenkampf-Ministerium" geschaffen worden, in dem Arbeit und Wirtschaft vereint sind. "Österreich-Fonds" soll entstehen Ein wichtiger Punkt ist für Schüssel die geplante Neuregelung der Abfertigung, die ab 2002 wirksam werden solle. Mit der für 25 Jahre geplanten Einzahlung in eine Kassa solle ein "Österreich-Fonds" entstehen. Das könnte nach Ansicht Schüssels eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Weichenstellungen sein. Dann würde sich auch die Diskussion aufhören, es gebe dafür kein Kapital. Der Bundeskanzler betonte in diesem Zusammenhang, dass es die Wahlfreiheit zwischen einmaliger Auszahlung als Abfertigung und Zusatzpenion geben und der steuerliche Vorteil der derzeitigen Abfertigung erhalten bleiben solle. Notwendig ist nach Ansicht von Schüssel eine schrittweise Anhebung des Frühpensionsalters. Während einer Generation sei die Lebenserwartung um 25 Jahre gestiegen und das Frühpensionsalter deutlich zurück gegangen. "Dass sich das nicht ausgeht, weiß jeder." Gleichzeitig betonte Schüssel aber auch, dass es Angebote geben müsse, länger arbeiten zu können. Er sagte all jenen den "Kampf" an, die ältere Mitarbeiter aus dem Arbeitsprozess drängen. "Mordsblamage" der SPÖ Den Fehler der SPÖ in ihrem Dringlichen Antrag am Vortag in der Sondersitzung des Nationalrates bezeichnete Schüssel als "Mordsblamage". "Wer das nicht zusammen bringt, soll nicht all zu rasch auf die Regierungsbank zurück kommen." Die von der SPÖ geforderte Steuersenkung wäre nach Ansicht Schüssels ein "fataler Fehler". Zum Mangel an IT-Fachkräften bekräftigte Schüssel, dass er wenig davon halte, Arbeitskräfte zu importieren. Sehr viel halte er hingegen davon, "den eigenen jungen Leuten eine erstklassige Ausbildung zu gewähren". 1.000 Kräfte sollten über die Schulen und 2.500 über die Lehrlingsausbildung kommen. Kritischer Jahreswechsel Die mit dem kommenden Jahreswechsel anstehende Euro-Umstellung "kann kritisch werden", sagte Schüssel. Er gestand zu, dass noch nicht alle Fragen ganz gelöst seien und es viele "Nachrechnereien" geben könnte. Außerdem sei eine Währungsumstellung "einer der ganz großen psychologischen Brüche". Der Euro sei aber ein "wichtiger Impuls" für die Zukunft. "Ein wenig stolz" ist Schüssel, dass mit der Einigung über die Restitution jener Güter, die von den Nazis geraubt worden sind und der Zwangsarbeiter-Entschädigung "zwei offene Wunden in unserer Vergangenheit" wenn nicht geschlossen, so doch zumindest verbunden worden seien. Insgesamt seien dafür 20 Miliarden Schilling reserviert. "Nur wer mit seiner Vergangenheit ins Reine kommt, hat die Hände frei für die Zukunft", sagte Schüssel. "Think Tank" übernehmen An den ÖAAB appellierte er, den "Think Tank" der ÖVP zu übernehmen. Die Arbeitnehmerorganisation solle "Temperaturmesser für die soziale Wärme" sein. Weiters solle der ÖAAB eine offenere Haltung zur Erweiterung Europas einnehmen als die sozialdemokratischen Arbeitnehmer. An die ÖVP richtete Schüssel die Mahnung, dass die Regierungsarbeit alleine nicht genug sei. "Wir müssen uns rechtzeitig Nachdenkphasen verordnen" wie in Alpbach. "Der Alpbach-Prozess muss Bestand haben." Haupt gegen "tagespolitisches Gezänk" Sozialminister Herbert Haupt hat sich bei der ÖAAB-Konferenz gegen ein "tagespolitisches Gezänk" in der Sozialpolitik gewandt. Haupt sagte, in der Sozialpolitik sei Solidarität und nicht Streit notwendig. Wichtige sozialpolitische Themen will er auch sozial regeln, damit die Menschen wieder Vertrauen bekommen. Der Grundsatz "Wirtschaft sind wir alle" müsse Wirklichkeit werden. Haupt sprach sich für einen "Paradigmenwechsel" in der Sozialpolitik aus. Ideologische Grenzen gelte es zu überwinden. Als "eminent wichtige Themen", die in der nächsten Zeit anstehen, nannte der Sozialminister das Kindergeld für alle und die Neuregelung der Abfertigung. Alles andere wäre "Feigheit" Die Neubesetzung der Spitzenfunktionen im Hauptverband der Sozialversicherungsträger will Haupt anders machen als seine SPÖ-Vorgänger. Mit den Betroffenen werde er persönliche Aussprachen führen, kündigte der Sozialminister an. Alles andere wäre "Feigheit". Haupt teilte auch mit, dass er sich in einem Schreiben an den Hauptverband für eine Umverteilung von oben nach unten bei den Mitarbeitern der Sozialversicherung eingesetzt habe. Die Pensionsreform müsse langfristig betrachtet werden, unterstrich der Sozialminister. Es gehe auch darum, dass sich die Aktiven nicht benachteiligt fühlen dürfen und ein Generationenkonflikt nicht entstehe. Die jetzt gesetzten Maßnahmen dienten auch dazu, dass die Pensionen abgesichert werden und die Menschen auch später noch hohe Ersatzraten bekommen. Haupt verteidigte auch die Pensionsanpassung um 0,8 Prozent mit einem Wertausgleich für die niedrigen Pensionen. 75 Prozent der untersten Einkommen seien dadurch bevorzugt worden. Er wisse, dass jene, die über 30.000 Schilling beziehen, darüber nicht glücklich gewesen seien. Diese könnten das aber verschmerzen. Ostöffnung Für die Ostöffnung will Haupt die Rahmenbedingungen "genau beobachten". Notwendig sei etwa, dass die Beitrittsländer auch auf dem Gesundheitssektor die gleiche Basis haben, damit Menschen nicht ausgebeutete werden. Der Sozialminister befürwortete Schutzmaßnahmen, "aber nicht um den eigenen Schrebergarten aufblühen zu lassen und andere zu Wüsten zu machen". In Anspielung auf die BSE-Krise meinte Haupt, es sollten jene, die sich auf Kosten anderer bereichern wollen, "mit aller Härte" verfolgt werden. "Die sind nicht meine Partner." Zu seiner Teilnahme an der ÖAAB-Veranstaltung sagte der FPÖ-Minister, das sei "gelebte Demokratie", alles andere wäre "Sektierertum von vorgestern". Er erinnerte daran, dass auch ÖVP-Ehrenobmann Mock bei einer FPÖ-Veranstaltung aufgetreten sei, als seine Partei noch in der Opposition war. (APA)