Wien - Der Ministerrat soll am Dienstag den Entwurf für den Analyseteil der geplanten neuen Sicherheitsdoktrin beschließen. Verteidigungsminister Herbert Scheibner betonte am Montag, dass dieser Entwurf nun breit diskutiert werden soll. Dann sollen darauf aufbauend die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen werden. Zu den umstrittenen Themen Neutralität und NATO meinte er, Österreich sei eigentlich nicht mehr neutral, sondern bündnisfrei. Einen NATO-Beitritt wiederum hätte der Minister gern gesehen, dies sei seitens der Allianz derzeit aber nicht aktuell. Österreich wäre heute "ehrlicherweise als bündnisfrei zu bezeichnen", sagte Scheibner unter Hinweis auf Artikel 23f der Bundesverfassung, mit dem die Möglichkeit zur Teilnahme Österreichs an den Petersberg-Aufgaben der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU geschaffen wurde. Diese Verfassungsänderung sei von der früheren rot-schwarzen Koalition durchgeführt worden, betonte Scheibner. In dem Analyseteil, der nun 68 Seiten stark und ausdrücklich als "Expertenentwurf" gekennzeichnet ist, heißt es dazu: "Eine Abkehr von der Neutralität hat de facto mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union stattgefunden. Österreich ist so wie Finnland und Schweden bündnisfrei." Auf die Frage, ob dann das Neutralitätsgesetz nicht gleich abgeschafft werden sollte, meinte Scheibner, dies wäre "sauberer, auch ehrlicher". Eine Notwendigkeit dafür bestehe aus seiner Sicht aber nicht. "Vom Neutralitätsmythos distanzieren" In dem Papier, das am Dienstag in den Ministerrat kommen soll, wird die Aufhebung der Neutralität angedacht: "Eine Aufhebung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität Österreichs kann aber nur vom parlamentarischen Verfassungsgesetzgeber (Zweitdrittel der Parlamentsabgeordneten) vorgenommen werden." Oberst Gustav Gustenau, einer der Autoren des Papiers, brachte es auf den Punkt: "Wir versuchen, uns von dem Neutralitätsmythos zu distanzieren." Befürwortet wird in dem Papier eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit: "Die Unverletzlichkeit des Staatsgebietes und der Schutz der sonstigen Güter der Republik und seiner Staatsbürger wird heute am wirksamsten durch eine umfassende und gleichberechtigte Integration Österreichs in die Solidargemeinschaft der europäischen Staaten erreicht, wozu auch eine Teilnahme am euro-atlantischen Sicherheitsverbund gehört." Sich von der sicherheitspolitischen Entwicklung nicht abzukoppeln, sei umso wichtiger, "je kleiner, entwickelter und wirtschaftlich eingebundener" ein Staat sei. An anderer Stelle wiederum heißt es: "Die neuen Gegebenheiten verlangen anstelle einer Politik des 'bewussten Sich-Heraushaltens' eine Politik des solidarischen Mitwirkens." Die Solidarität leite sich aus der Zugehörigkeit zu einer Staatengemeinschaft ab, die von gemeinsamen Prinzipien und Werten getragen werde. "Sicherheitspolitisches Trittbrettfahren" - eine ausschließlich Konzentration auf das Anbieten "guter Dienste", auf "sicherheitspolitische Nischen" oder das auf die zivile Dimension der Sicherheitspolitik - wäre mit dem Solidaritätsprinzip und einer "europäisch geforderten Lasten- und Risikoverteilung" jedenfalls unvereinbar. "Nagelprobe für Opposition" Scheibner sieht in der von ihm geplanten Debatte über die neue Sicherheitsdoktrin eine "Nagelprobe, ob es der Opposition ernst ist mit dem Wunsch, sich konstruktiv zu beteiligen". In Österreich sei die sicherheitspolitische Diskussion im Gegensatz zu anderen Ländern bisher versäumt worden. Beim von SPÖ und ÖVP geplanten und letztlich gescheiterten Optionenbericht etwa sei die Opposition in die Debatte nicht eingebunden gewesen. Zur Bedrohungslage Österreichs sagte Scheibner, dass die Frage einer direkten Bedrohung "absolut in den Hintergrund getreten" sei. Allerdings könne jeder Krisenherd in Europa oder in seinem Umfeld zumindest mittelbar auch auf Österreich Auswirkungen haben. Krisenprävention oder zumindest das Verhindern einer Eskalation müsse daher ein künftiger Schwerpunkt sein. Militärische Ressourcen als militärisches Risiko Die geplante Sicherheitsdoktrin soll den bestehenden Landesverteidigungsplan ablösen. Dieser sei ein für seine Zeit außergewöhnlich modernes und umfassendes Konzept gewesen, so Erich Reiter, Sektionschef im Verteidigungsministerium und einer der Hauptautoren des Entwurfs. Im Gegensatz zu früher könne die neue Doktrin nicht mehr auf Berechenbarkeit aufbauen. Die Bipolarität der Supermächte im Kalten Krieg sei durch eine Multipolarität und eine Regionalisierung abgelöst worden. Reiter nannte auch weitere Bedrohungsbilder. Die Zahl der unabhängigen Staaten sei im Zunehmen, diese hätten auch mehr Handlungsfreiheit als früher. Dazu komme das Risiko der Proliferation, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen an immer mehr Länder. Schließlich komme es zu einem verstärkten Auftreten nicht-staatlicher Akteure. Und schließlich, so Reiter, gebe es auch in Europa noch ein militärisches Risiko. Es gebe hier umfangreiche militärische Ressourcen, sagte er. Und noch sei die Integration nicht unumkehrbar und fix. (APA)