Das Dokument trägt von vorne bis hinten den Stempel "vertraulich". Und die sieben eng bedruckten Seiten sollten die Öffentlichkeit nach dem Willen des Verfassers, des "Hohen Beauftragten" Javier Solana, am besten gar nie erreichen. Denn was er mit seiner Planungs- und Analyseeinheit, die im Auftrag der EU-Außenminister die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union entwickeln sollen, zu Papier gebracht hat, kommt einer Art von politischem Offenbarungseid gleich. "Zu oft umfassen (die gemeinsamen Strategien) eine weite Palette von Themen, aber sie versetzen die Union nicht in die Lage, auf einem spezifischen Feld eine Politik durchzusetzen, die tatsächlich von Bedeutung wäre", heißt es in dem Papier wörtlich: "Die Tatsache, dass jede EU-Präsidentschaft (alle sechs Monate, Anm.) einen neuen Arbeitsplan mit neuen Prioritäten vorlegt, hat bisher dazu geführt, dass das Ziel verfehlt wurde, einen kohärenten und in sich geschlossenen EU-Ansatz zu finden." Ein solcher Tonfall zieht sich von Anfang bis Ende durch die ganze Analyse. Als größte Schwächen der EU-Außenpolitik werden ausführlich dargelegt:
  • Die "gemeinsamen Strategien" seien zwischen den Mitgliedstaaten schon im Vorfeld so exzessiv bis ins Detail verhandelt, sodass sie "keine wirklichen Prioritäten enthalten" und nicht viel mehr gleichkommen als einer jeweiligen Bestandsaufnahme.

  • Ein großes Problem sei, dass dabei "die Texte für die Öffentlichkeit gemacht" würden, wodurch es ihnen vollkommen "an Schärfe fehlt". Diese Politiken würden zwar oft nach den Prinzipien der "politischen Korrektheit" formuliert, aber für ein effizientes außenpolitisches Vorgehen sei das zu wenig. Es fehle eine "sinnvolle interne Strategie".

  • "Die gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik ist zunehmend zur bürokratischen Übung verkommen", heißt es in der Analyse.
Nicht zuletzt erweise sich der Zwang zur Einstimmigkeit mit allen Veto-Möglichkeiten als extremes Hindernis, schreiben die Kritiker der Solana-Gruppe, die politischen Inhalte seien so formuliert, dass das Ziel von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit (im EU-Ministerrat) bisher nicht erreicht worden sei. Zur Verbesserung empfiehlt Solana den EU-Außenministern für die Zukunft ein Maßhalten bei den Zielen, die sie sich vornehmen: "Es muss klare strategische Vorgaben geben", heißt es, "eine gemeinsame Strategie darf nicht darin bestehen, dass diese Gegenstand von Verhandlungen bis ins Detail sozusagen von unten her ("bottom-up") werden. Auch solle man sich auf weniger Themen konzentrieren und nicht immer gleich versuchen, jede Menge von Themen, Ländern oder sogar Regionen in eine gemeinsame Strategie zu packen. Solana kommt am Ende zu folgendem Schluss: "Gemeinsame Strategien (der Union) werden glaubwürdiger sein, wenn sie dazu dienen, begrenzte, spezifische außenpolitische Ziele zu entwickeln, mit Prioritäten und einem Zusatznutzen." Nicht zuletzt werde es notwendig sein, die budgetären Voraussetzungen zu schaffen und die damit verbundenen politischen Mittel. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.01.2001)