Wien - Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck (F), der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Otto Pjeta, sowie die Chefin des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG), Michaela Moritz, schlagen Alarm: Tritt keine Verringerung der Zahl der jährlichen Medizin-Promoventen ein, wird es bis zum Jahr 2020 ein Überangebot von rund 9.500 fertig ausgebildeten Ärzten geben. Dies erklärten sie am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien. Mit einer Studien-Eingangsphase, Prüfungen und einer Anpassung der Ausbildungsplätze an die Kapazitäten könnte gegengesteuert werden. Die Daten dazu liefert eine im vergangenen Jahr vom ÖBIG durchgeführte Studie mit dem Titel "Ärztliche Versorgung in Österreich - Ärzteangebot und Bedarf bis 2020. Waneck: "Es hat sich gezeigt, dass es eine Anzahl von rund 1.000 Ärzten an zusätzlichem Bedarf im niedergelassenen Bereich gibt. Auf der anderen Seite stehen wir vor der Tatsache, dass wir viel zu viele Ärzte produzieren. Das bedeutet, dass mit rund 9.500 arbeitslosen Ärzten zu rechnen sein wird." Keinesfalls könne irgendjemand davon ausgehen, in Zukunft mit dem abgeschlossenen Medizin-Studium und der Berechtigung zur Berufsausübung "automatisch einen gesicherten Arbeitsplatz im Gesundheitswesen" zu bekommen. Derzeit promovieren pro Jahr rund 1.100. Das sind um fast die Hälfte zu viel. Die Studie: "Für die nächsten 20 Jahre ist demnach nach derzeitigem Wissensstand mit einem bedarfsüberschreitenden Zuwachs von fast 500 Ärzten pro Jahr zu rechnen. ÖBIG-Chef Michaela Moritz listete die derzeitige Situation und die Eckdaten der Prognose auf: - Die Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte ist zwischen 1980 und 1999 um rund 15.700 oder 85 Prozent auf mehr als 34.000 gestiegen. Mit 27.400 voll ausgebildeten und tätigen Ärzten befindet sich Österreich im internationalen Spitzenfeld. - Einer moderaten Zunahme der niedergelassenen Ärzte in den vergangenen 20 Jahren um 21 Prozent (§ - Kassenärzte nur plus sieben Prozent) steht eine fast Verdoppelung der Wahlärzte ohne Kassenvertrag um 85 Prozent gegenüber. - Überproporzional zugenommen hat die Zahl der angestellten Ärzte (plus 35 Prozent) und der Fachärzte (plus 40 Prozent). - Für das Jahr 2020 muss mit einem bloßen Bedarf an 26.051 Ärzten in Österreich gerechnet werden. Bei einem derzeitigen Bedarf an 25.051 Ärzten ergibt sich bloß ein notwendiger Zuwachs von rund 1.000 Medizinern (400 Allgemeinmediziner und 600 Fachärzte). - Bei Fortschreibung der Promoventenzahlen wird es im Jahr 2020 rund 35.500 fertig ausgebildete Ärzte geben. Das Überangebot (Bedarf 2020: 26.051) wird also rund 9.500 Ärzte betragen. Wie dem entgegen gesteuert werden sollte, formulierten Pjeta und Staatssekretär Waneck. Der Kammerchef: "Es ist keine Frage, dass wir seit Jahren versucht haben, auf diesen Umstand hinzuweisen. Die Lösung ist: Indem man nach einer Studieneingangsphase eine Studien-Eingangsprüfung einführt und die Zahl der weiter Studierenden festgelegt wird." "Keine Planwirtschaft" Der Staatssekretär: "Es soll keine Planwirtschaft sein. Die Zahl der Studierenden soll bedarfsorientiert sein - bei Erhaltung des freien Zugangs zum Studium. Aber wir haben einen jährlichen Ersatzbedarf von 600 Ärzten in Österreich, auf der anderen Seite promovieren 1.100." Die Universitäten sollten in ihren neuen Medizinstudium-Plänen klar die Möglichkeit haben, nach einer Arzt Propädeutikum die Zahl Studienplätze auf jene Zahl zu begrenzen, für die es eine qualitativ gesicherte Ausbildungskapazität gebe. Hinzu sollen Strukturmaßnahmen im Gesundheitswesen kommen. Staatssekretär Reinhart Waneck: "Wir sind gerade dabei, mit der bevorstehenden ASVG-Novelle standardisierte Reihungskriterien (Vergabe von Kassenstellen, Anm.) zu schaffen, um Ärzte auch in 'weiße Gebiete' zu bringen, wo es bisher noch schwer möglich war." Zusätzlich werde man sich bemühen, mehr Ärzte in den niedergelassenen Bereich zu bekommen. Schließlich sollten Kombinationsstudien mit Medizin und anderen Richtungen propagiert werden. Unausgeglichene Ärztedichte Ärztekammerchef Otto Pjeta erwartet, dass im Bereich der geplanten Gruppenpraxen wahrscheinlich noch einige hundert Ärzte unterkommen könnten. An dem gefürchteten enormen Überangebot ändere das aber nichts. Was es wahrscheinlich noch zu beheben gilt: Die gravierende Unausgeglichenheit in der Ärztedichte zwischen Stadt und Land. Michaela Moritz: "Wir haben eine extreme Ärztedichte in den Ballungszentren, speziell in Wien (auch Graz und Innsbruck, Anm.) und in den ländlichen Regionen eine Verteilung, die nicht optimal ist." Während in den Ballungszentren die höchsten Ärztedichten bei sechs bis sieben pro 1.000 Einwohner liegt und im internationalen Vergleich ein Überangebot darstellt, gibt es in der ländlichen Peripherie manchmal nur zwei Ärzte pro 1.000 Einwohner (z.B. Mühlviertel, Tiroler Oberland, Bregenzer Wald, Oberkärnten, Innviertel, Süd- und Oststeiermark). Andererseits - so die ÖBIG-Chefin - hätten sowohl Vorarlberg als gesündestes Bundesland und das Burgenland als eine Region mit vergleichsweise hohen Erkrankungsraten etwa die selbe Ärztedichte von rund drei pro 1.000 Einwohner. Medizinstudenten-Beschränkung: ÖH, SPÖ und Grüne kritisieren Pläne Scharfe Kritik hagelt es nach dem Vorschlag von Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck (F) und Ärztekammer-Präsident Otto Pjeta, die Zahl der Medizinstudenten mittels einer Studieneingangsprüfung zu beschränken, um eine "Medizinerschwemme" zu verhindern. Die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) fordert mehr Information für Studienanfänger statt einer Beschränkung der Studienplätze, die Grünen orten einen Mehrbedarf an Ärzten in Österreich und die SPÖ kritisiert die geplante Kürzung der Turnusarztstellen. "Anstatt Überlegungen dahin gehend anzustellen, wie angehende Studierende frühzeitig und umfassend informiert werden können, wird eine Beschränkung der Studienplatzzahl vorgeschlagen", ärgert sich der ÖH-Vorsitzende Martin Faißt. Der Vorschlag, den Notendurchschnitt nach dem ersten Semester als Kriterium für eine Fortsetzung des Studiums heranzuziehen, stößt bei ihm auf massiven Widerstand. Nicht alle Medizin-Absolventen müssten sich gezwungener Maßen für den Dienst am Patienten entscheiden, meint der Grüne Gesundheitssprecher Kurt Grünewald. "Es gibt viele vor- und nachgelagerte Felder im Bereich der Medizin, die nach der Absolvierung des Medizinstudiums die Möglichkeiten für die verschiedensten Jobs eröffnen", betonte auch Faißt. Man solle den Studenten dazu raten, sich so früh wie möglich Zusatzqualifikationen anzueignen. SPÖ-Gesundheitssprecher Manfred Lackner spricht sich gegen die Kürzung von Turnusarztstellen und gegen eine "Demontage der Arbeitsmedizin" aus, die er als "Bedrohung für angehende Mediziner" wertet. Diese Pläne zeigen, "dass den Lobbyinteressen der etablierten Ärzteschaft offensichtlich ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als den Jobchancen der Jungmediziner", so Lackner. Die Grünen sehen keine Gefahr, dass das Land von Jungmedizinern überschwemmt werden könnte. "Die PatientInnen, die bei bestimmten FachärztInnen oft wochenlang auf einen Termin warten müssen, haben jedenfalls von einer Ärzteschwemme noch nichts bemerkt", kritisierte Grünewald. Immer noch gebe es überfüllte Wartezimmer, erhebliche Mängel in der arbeitsmedizinischen Versorgung und Versorgungsengpässe. (APA)