Der Fall des ehemaligen Kurzzeitministers Michael Schmid, der dem drohenden Ausschluss aus der FPÖ durch seinen Austritt zuvorgekommen ist, bietet, so unappetitlich er im Detail auch anmutet, einen geeigneten Anlass, sich prinzipiellen Fragen zuzuwenden und das Verhalten der Parteien in der Frage der Begrenzung von Politikereinkommen zu vergleichen. Insbesondere die Gegenüberstellung von SPÖ und FPÖ, die sich ja beide im besonderen Maße den "kleinen Leuten" verpflichtet fühlen, ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Wie fragwürdig auch immer die Richtlinien der FPÖ zur Einkommensbegrenzung der politischen Funktionäre bzw. die konkrete Handhabung dieser Regelung sind, verdient dennoch festgehalten und anerkannt zu werden, dass es solche Richtlinien und den Versuch ihrer Einhaltung und Einmahnung gibt. Und wie geht man in der SPÖ mit diesem Thema um? Dort hat man längst den Versuch aufgegeben, einen finanziellen Plafond für Funktionäre einzuziehen, tummeln sich doch in den oberen Rängen dieser Partei zu viele Millionäre und Multimillionäre. Die Beispiele Vranitzky und Klima haben überdies demonstriert, dass die Politik nicht nur ein guter Boden für hohe Einkommen während der Ausübung einer Funktion ist, sondern auch eine ideale Durchgangsstation für noch besser und höher dotierte in der Privatwirtschaft. Synchronisiert man diese Beobachtungen mit der statistisch erfassbaren Tatsache, dass die Schere zwischen Arm und Reich in den vergangenen dreißig Jahren sozialistischer Herrschaft nicht kleiner, sondern größer geworden ist, begreift man, dass sich die Sozialdemokratie eines historischen Trumpfes - des Strebens nach mehr Gleichheit in der Gesellschaft - stillschweigend begeben hat und auch keinerlei Anstalten macht, diese Entwicklung rückgängig zu machen. Verpasste Chancen Wenn Christian Broda in der Parteiprogrammdebatte 1958 noch proklamierte, "Sozialismus ist Aufhebung des Unterschiedes zwischen Arm und Reich", und das Programm dem Anliegen des nachmaligen Justizministers zwar nicht in dieser Schärfe, aber immerhin durch einen Ehrenplatz für die "klassenlose Gesellschaft" Rechnung trug, muss man heute feststellen, dass diese Diskussion verstummt ist und zum Teil von Haider und der FPÖ aufgegriffen und in eigener Regie gelöst wurde. Eigentlich hätte sich die SPÖ spätestens durch die Initiativen der FPÖ herausgefordert fühlen müssen, in der eigenen Partei Ordnung zu machen und die angebliche Demagogie der FPÖ durch eine überzeugende eigene Lösung in die Schranken zu weisen. Dass dem nicht so war, ist eine der Erklärungen dafür, dass die FPÖ bis tief in die Kernschichten der SPÖ einbrechen konnte. Hält man sich vor Augen, dass die SPÖ nicht nur das Streben nach mehr Gleichheit de facto aus ihrem politischen Grundsatzkatalog gestrichen hat, sondern unter dem Eindruck des realen Versagens auch das Postulat nach Verstaatlichung der Industrie aufgeben musste, gelangt man zur Einsicht, dass die SPÖ zwei tragende Säulen ihres historischen Aufstiegs und Erfolgs verloren hat, ohne dass andere Stützen als Ersatz in Sichtweite wären. Trübe Perspektiven Was der SPÖ immerhin noch bleibt, ist die Verteidigung des Wohlfahrtsstaates, der ihr historisches Verdienst ist. Aber auch diese Errungenschaft gerät in die Defensive, wenn es darum geht, den Sozialstaat mit den Notwendigkeiten der Finanzierung in Einklang zu bringen. In dem Maße, in dem sich die SPÖ auch an Formen und Übertreibungen des Sozialstaates klammert, die nicht mehr zu halten sind, wird sie zu einer konservativen, den Status quo festschreiben wollenden Partei und läuft Gefahr, die Dynamik, die sie in der Vergangenheit auszeichnete und auf die historische Siegerstraße führte, zu verlieren, durch andere politische Kräfte verdrängt und als Regierungspartei überflüssig gemacht zu werden. Für die SPÖ geht es also um noch mehr als um die bloße Rückeroberung der Macht: Um diese Macht legitim wiedergewinnen zu können, muss sie sich vorerst darüber im Klaren sein und auch andere davon überzeugen, worin ihre Unersetzlichkeit besteht, die sie bisher als eine unverrückbar feststehende Prämisse betrachtet hat. Norbert Leser ist Vorstand des Instituts für Sozialphilosophie an der Universität Wien. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.1.2001)