Möglicherweise war es gut gemeint. Es konnte aber, wie so vieles, das gut gemeint ist, nur schief gehen: Als die "Wende"-Koalition den heftigen Protesten, die gegen ihre Maßnahmen im Sozial- und Gesundheitsbereich erhoben wurden, mit dem Versprechen begegnete, man werde für "Abfederung" sorgen, da hatte sich der Begriff auch schon selbstständig gemacht. Er begann seinen Irrlauf durch Zeitungsspalten und Websites, wurde an den verschiedenen Stationen durch sarkastische Beifügungen angereichert und zierte am Ende, bis zur Kenntlichkeit entstellt, jeden zweiten Kommentar zur Sozialpolitik: "Geteert und abgefedert." Ein ähnliches Schicksal war zuvor seiner Zwillingsschwester, der "Sozialen Treffsicherheit" widerfahren: Sie war von ihren Schöpfern auserkoren, zum Synonym für "Sozialumbau statt Sozialabbau" zu werden, sollte signalisieren, dass von nun an nicht mehr mit der Gießkanne verteilt würde. Die wirklich Bedürftigen, hieß es, sollten in den Genuss von verstärkten Transferleistungen kommen, während man Fälle von "Überversorgung" abstellen wolle. Es dauerte nicht lange, bis die fürsorgliche Bedeutung des Begriffs in der öffentlichen Wahrnehmung von der kriegerischen überrundet wurde: Unter "Treffsicherheit" verstand man nun das punktgenaue Herausschießen der Schwachen aus dem sozialen Gefüge. Gerade der Finanzminister, dessen "Nulldefizit"-Pläne die soziale Treffsicherheit absichern sollte, hätte wissen müssen, mit welchen Bedeutungen das Wort außerhalb des Politischen aufgeladen ist: Als Mitarbeiter des Autozulieferers "Magna" musste ihm klar sein, dass die Notwendigkeit zur Abfederung - Stoßdämpfer! - erst entsteht, wenn das Gerät zuvor mit massiven Schlägen konfrontiert worden ist. Und das einfache Mitglied hätte während seiner umfangreichen sportlichen Betätigungen gelernt haben können, dass eine gekonnte Abfederung den Sturz zur Voraussetzung hat. Reichtum & Armut Es ist erstaunlich, welchen Begriffsreichtum die Spracharmut mitunter hervorbringt: Am Ende kristallisierte sich als einzige Konstante im Begriffsrepertoire der Regierenden der ständige Bedeutungswandel heraus. Dieser beständige Wandel verdankte sich natürlich auch der oppositionellen Polemik und dem medialen Originalitätsdruck. Vor allem war er aber das Wort gewordene Chaos der Ideologien, das die Sozialpolitik der Wenderegierung kennzeichnete. Die Herausforderung, die Gleichzeitigkeit einer verschärften Budgetsanierung ("Nulldefizit") und einer massiven Ausweitung von Gießkannensozialleistungen ("Kinderscheck") dem Publikum in nachvollziehbarer Begrifflichkeit zu schildern, hätte wahrscheinlich auch sprachmächtigere Repräsentanten der politischen Klasse überfordert. Dabei hätte man das Begriffspaar von der "Treffsicherheit" und der darauf folgenden "Abfederung" zunächst als geradezu märchenhaft geniale Arbeitsteilung interpretieren können: Die Wirtschaftspartei ÖVP, die bereits mit der Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium das Obsiegen des Neoliberalismus über den mitfühlenden Sozialstaat signalisiert hatte, sorgte treffsicher für das Herausfallen aus der sozialen "Hängematte" (Andreas Khol); die Kleine-Leute-Bewegung FPÖ fängt sie abfedernd auf, und am Ende leben sie alle drei, die ÖVP, die FPÖ und der Bürger, glücklich bis ans Ende der Legislaturperiode. (Apropos Bürger: Angesichts des ersten Wendejahres erschließt sich auch die Bedeutung des Kholschen Buchtitels "Durchbruch zur Bürgergesellschaft" in seiner ganzen Breite.) Die Verselbstständigung der Begriffe, das Kippen der Bedeutungen im politischen Feld des Sozialen hat freilich nicht nur mit der Verfasstheit der gegenwärtigen Regierung zu tun. Von der Pensionsproblematik bis zur Kostenfrage im Gesundheitswesen zeigen auch die zahlreichen Expertenpapiere des ersten Wendejahres, wie knapp die "Grauslichkeit" am sozial Notwendigen liegt: Die stufenweise Anhebung des Frühpensionsalters um eineinhalb Jahre wurde zugleich als "zu wenig" kritisiert und als "verfassungswidrig", weil "überfallsartig", gebrandmarkt. Grundlegender Konflikt Hinter der Metamorphose der fürsorgenden "Abfederung" zum zynischen "Geteert und abgefedert", das nicht zuletzt auch ein Produkt unserer Verdachtskultur ist, verbirgt sich ein grundlegender Konflikt, der nicht ursächlich mit der "Wende" zu tun hat, der aber durch die damit verbundene Polarisierung zum Vorschein kam: Der "Widerstand", der dieser Regierung entgegengesetzt wurde und wird, versteht sich selbst auch als Widerstand gegen Neoliberalismus und "Turbokapitalismus", gegen das Diktat des Ökonomischen über das Politische, das man in dieser Regierung verwirklicht sieht. Dass ausgerechnet eine Koalition aus der bündisch organisierten ÖVP und einer zwischen Brachialkapitalismus und Uraltsozialismus oszillierenden FPÖ als Vorreiterin des lupenreinen Neoliberalismus gesehen wird, zeigt, dass von der Verselbstständigung der Begriffe nicht nur die Regierenden betroffen sind. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 1. 2001)