Linz - Neue Wege bei rechtsradikalen Tätern geht jetzt die Justiz in Linz gemeinsam mit der Kepleruniversität. "Mitläufer" der Neonazi-Szene dürfen wählen, ob sie statt der zu erwartenden Gerichtsverhandlung und Strafe einen "Kurs" an der Universität besuchen, der einerseits eine Art "Nachhilfe" in Geschichte ist, andererseits aber auch auf Bewusstseinsbildung und Einstellungsänderung zielt. Bereits im März soll der erste Kurs für 33 Jugendliche starten. Ausgangspunkt war eine von 1996 bis 1999 in Perg, Freistadt, Enns und Linz besonders agessive Skinhead-Szene. Es gab fünf verschiedene Gruppen mit insgesamt rund 100 Aktiven. Ausländerfeindliche Aktionen, Schmierereien, NS-Verherrlichung in Liedern und auf CDs, aber auch Sachbeschädigungen und Gewalttätigkeiten gegen Ausländer werden den Angeklagten vorgeworfen. Einer Sonderkommission gelang es schließlich, das "braune Netzwerk" zu zerstören, was blieb, waren Anzeigen gegen 105 Jugendliche und junge Erwachsene. 75 dieser Fälle landeten bei der Staatsanwaltschaft Linz, die restlichen in Steyr, Wels, Ried und St. Pölten. "Diversion" Gemeinsam mit der Universitätsprofessorin Irene Dyk vom Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Kepleruniversität entwickelte der Chef der Linzer Staatsanwalt, Siegfried Sittenthaler, das neue Modell, das im Rahmen der so genannten "Diversion" steht. "Diversion" ist die Möglichkeit für die Justiz, im Fall bestimmter Täter mit anderen Maßnahmen als dem Strafverfahren vorzugehen. Vorerst wurden die 75 Fälle genau analysiert. In einem Teil der Fälle wurde das Verfahren überhaupt eingestellt, weil keine strafbare Handlung vorlag. Bei weiteren 19 Neonazis handelte es sich um die "Drahtzieher" der Gruppen, hier wird eine Anklage nach dem Verbotsgesetz vorbereitet. Blieben 33 Personen - zur Zeit der Straftaten alle noch jugendlich -, die als "Mitläufer" zu qualifizieren waren. "Genau um diese geht es bei unserem Modell", betont Sittenthaler, "es sind dies jungen Leute, die meist unter Alkohol bei den Neo-Nazi-Aktivitäten mitmachten, die aber heute reuig und einsichtig sind und sich nachweislich von der Szene losgesagt haben". Zwei Jahre Probezeit Diesen wird angeboten, sich freiwillig an dem Kurs "Geschichte und Demokratie" am Institut von Professor Dyk zu beteiligen. Zugleich wird ihnen eine zwei Jahre dauernde Probezeit auferlegt, sie bekommen außerdem einen Bewährungshelfer an die Seite gestellt. Und sie müssen die Kosten von 2.500 S für den alles in allem mindestens 15 Stunden umfassenden Kurs ebenfalls aus der eigenen Tasche bezahlen. Nicht zuletzt arbeiten an dem Modell auch Studenten mit, die eine Art "persönliche Betreuung" der einzelnen Kursteilnehmer leisten. Inhaltlich geht es einerseits um die Vermittlung von historischem Wissen über das NS-Regime und seine Gräueltaten, andererseits wird auch daran gearbeitet, bei den Kursteilnehmern eine Bewusstseins- und Einstellungsänderung zu erreichen. Haben die ehemaligen Skinheads den Kurs absolviert und werden sie innerhalb der Probezeit nicht mehr rückfällig, so wird das Strafverfahren gegen sie beendet. Das neue Modell wird auch in Fällen von jugendlichen Rechtsradikalen angewendet werden, die jetzt in Steyr anhängig sind. Und wenn es sich bewährt, soll es auch bei künftigen Strafverfahren zum Tragen kommen, kündigt Sittenthaler an. (APA)