An diesem Wochenende referiert und diskutiert man in Salzburg über das Thema der zeitgemäßen Architektur des Grand Hotels. "Menschen, die die Globalisierung leben", meinen die Organisatoren des Kongresses, Roman Höllbacher und Peter Ebner, nicht ohne Enthusiasmus, seien dessen neue Klientel. "Mode- und trendbewusst", seien sie, diese Leute, "gutbezahlt und bestinformiert" und - "Individualisten". Der gutbezahlte globalisiserte trendbewusste Individualist also. Welch erstaunliche, kapriziöse Spezies ist da doch aus den ehemaligen Jägern und Sammlern hervorgegangen. Und welch komplizierte Antworten hat sich die Architektur bemüßigt gefühlt, auf die sogenannte Globalisierung und ihr entsprechendes Menschenprodukt zu geben. Ein Hotel zu bauen und einzurichten gehörte im vergangenen Jahrzehnt sozusagen zum guten Ton jedes flotteren Architekten und natürlich erst recht jedes Designers. Herausgekommen sind dabei eine Menge Kunst- und Designerhotels in den diversen Metropolen, die mitunter so wahnsinnig individuell ausgefallen sind, dass man es als Durchschnittsmensch vor lauter Farben- und Formenrausch und Blumenvasen und Glaswaschtischen kaum in ihnen aushalten kann. Doch beginnen wir lieber mit früher, denn da war alles scheinbar einfacher. Früher gab es entweder die Pension, oder eben das palastartige exklusive Grand Hotel als kunstvolle Selbstdarstellungsbühne für die reichsten Bürgerschichten und die Boheme. "Wenn ich von einem späteren Leben im Himmel träume", hatte Ernest Hemingway des öfteren kundgetan, "dann spielt sich alles immer im Ritz ab." Tatsächlich, der Traum des Literaten hat was, aber er gehört einer untergegangenen Welt an, in der die Reisekoffer so groß waren wie die Kinderzimmer des Sozialen Wohnbaus heute und in der die Menschen noch zu Lebzeiten Zeit hatten. Hemingway, das nur am Rande, vertrödelte nicht nur im Ritz die Tage und die Nächte zuweilen mit der Verfeinerung diverser Cocktailrezepturen auf dem Wege der Empirie, was ja nicht unbedingt der schlechtesten Zeitvertreibe einer sein dürfte. Doch von solcherlei Spielerei hat der Hotelgast von heute kaum mehr Kenntnis, denn auch das Rasten und Ruhen und der dazugehörige Müßiggang scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die zeitgemäße Nobelherberge, wie auch immer sie aussieht, ist vollverkabelt mit Fernseher, Computer, Internet. Ohne Arbeitsterminal geht nichts mehr. Die Welt ist immer und überall. Das Grand Hotel in seiner universellen Ausprägung existiert nur noch als Idee, und ein zeitgemäßes Pendant, das Große Hotel von Heute, gibt es nicht. Es hat sich vielmehr in den vergangenen Jahren eine Vielzahl verschiedener Hoteltypen entwickelt, die alle für ihre jeweilige Klientel zurechtgeschneidert sind. Erlebnishotels mit Flamingoteich und Spiellandschaften für die einen, spartanisch reduzierte Denkerklausen für die anderen, coole Businessetablissements für Geschäftsreisende, plüschig beschauliche Wochenendnester für Zwei - eine breite bunte Spielwiese für die Architektur ist da gewachsen. "Im Zeichen von Massentourismus und medial gesteuerter Geschmackskultur bestimmen Vermarktungsstrategien und Zielgruppensegmentierung die Gestaltung wie den Zuschnitt und damit die Erscheinungsformen des aktuellen Hoteldesigns", schreibt Hotelspezialist Otto Riewoldt in der empfehlenswerten Publikation "Hotel Design", die in zwei Bänden vom Bangert Verlag herausgegeben wurde. Der "offenkundige Stilpluralismus" der Hotelerie, so der Autor, habe "handfeste ökonomische Gründe. Die Durchsetzung eines ästhetischen Kanons wie weiland in der Belle Epoque scheitert heute schon an den unterschiedlichen Erwartungen und wechselnden Unterhaltungsbedürfnissen einer sich stetig ausdifferenzierenden Klientel." Auch die standardisierten Hotelburgen der 70er Jahre, von den großen, global agierenden Hotelketten allerorten stereotyp hingeklotzt, verlieren zunehmend an Bedeutung und zählen höchstens noch zum touristischen Mittelmaß. Die neuen Themen in der Beherbergungsbranche lauten klar: Business, Resort und Entertainment, Design und Kunst und neue Üppigkeit. Wer sich heute ein Hotel aussucht, der wählt seine temporäre Herberge aus wie ein fesches Kleidungsstück, das zur Stimmung passt. Das traditionelle Grand Hotel nimmt sich dabei eher wie Uropapas Gehrock aus, weshalb sich viele der Hotelveteranen dieser Tage in ganz neuem Kleid zeigen. Die alte Substanz bleibt da erhalten, wo sie für die Stimmung und Aura sorgt. Die neue Architektur kommt dort zum Tragen, wo Zeitgeistchic und Komfort gefragt sind. Als zum Beispiel am linken Ufer des Liffey das Dubliner Traditionsschlachtschiff "The Clarence Hotel" aufgrund hoffnungsloser Überalterung unterzugehen drohte, sprangen vor ein paar Jahren gerade noch rechtzeitig Investoren ein - unter anderem die Herren Bono und The Edge von der irischen Band U2 - und ließen das Haus mit Hilfe der Architekten Philip O'Reilly, Costello Murray Beaumont und United Designers wieder flott machen. Alles, so die Auftraggeber, hätte "möglichst irisch" auszusehen, doch was dabei herauskam, kann sich sehen lassen und hat absolut nichts mit den geschmäcklerischen Plastiktradition-Irlandpub-Exporten zu tun, die mittlerweile weltweit anzutreffen sind. Da kann der Penthouse-Whirlpool ruhig wie ein hölzerner Waschzuber aussehen und der Blick über die Stadt durch ein Bullauge geleitet werden. In Paris möbelten die Architekten Jacques Méchali und Jacques Garcia dafür das vormalige Hotel France et Choiseul, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, mit einigermaßen schwülstigen Interieurs zu einem frech-üppigen Nobeletablissement auf. Seidentapete, Brokatvorhang und Troddelzeug haben überlebt, und es ist ihnen doch anzusehen, dass sie nicht von Vorgestern stammen. Wie ein durchdesigntes zeitgemäßes Trend-Hotel ausschaut, haben die Architekten Marianne Burkhalter und Christian Sumi mit dem Hotel Zürichberg vorexerziert. Das bestehende feudale Kurhaus der Jahrhundertwende bekam einen runden holzverkleideten Hotelneubau zur Seite gestellt. Die Räume sind schlicht und raffiniert und mit Designerallerlei von Aalto bis Starck ausgestattet. "Das Transitorische ist der Hotelarchitektur von heute eingeschrieben wie je", behauptet Riewoldt, "aber das aktuelle Hoteldesign verspricht bei aller Unberechenbarkeit sicherlich keine neue ästhetische Ganzheit. Die Pluralität und Qualität macht Hoffnung auf mehr: So viel Anfang war nie." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3./4. 2. 2001)