Natur
Mindestens fünf Jahre wird die BSE-Erforschung noch brauchen
Wissenschafter würde gezielte Forschung an kranken Tieren den Massenschlachtungen vorziehen.
Greifswald - Mindestens fünf Jahre wird es dauern, bis es erste Forschungsergebnisse zur Rinderseuche BSE gibt. Das sagt der Leiter
der deutschen Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) auf der Insel Riems in der Ostsee, Thomas Mettenleiter.
Vermutlich vier bis sechs Jahre betrage allein die Inkubationszeit.
Mitte diesen Jahres soll das zur Anstalt gehörende Labor aus Tübingen nach Riems in Vorpommern übersiedeln und mit der experimentellen
Forschung begonnen werden. "Ein wichtiger Versuch wäre, einen Tierbestand gleichzeitig zu infizieren, Teile davon in bestimmten Abständen
zu schlachten und herauszufinden, wann der Erreger das Gehirn befällt", sagt Mettenleiter.
Gegen Massentötungen
Deshalb schlägt er vor, "statt Herden abzuschlachten", Bestände, in denen Prionen sicher vorkommen, der Forschung zuzuführen. Anhand der
Untersuchungen könne festgestellt werden, welche Bereiche des Organismus befallen werden und bei welchen dies ausgeschlossen werden
könne, ob der Erreger über das Blut weitergeleitet wird oder direkt das zentrale Nervensystem ansteuert. "Derzeit steht dem aber der
Verbraucher entgegen", glaubt Mettenleiter.
Alle positiv getesteten Rinder werden in Deutschland sofort geschlachtet. In Sachen BSE gleicht das Wissen derzeit allerdings einem Stochern
im Nebel. "Die Inkubationszeit ist für uns ein schwarzes Loch", sagt Mettenleiter. Deshalb ist der Chef der 1910 gegründeten
Forschungsanstalt, die heute eine von zehn Anstalten des deutschen Landwirtschaftsministeriums ist, besonders vorsichtig in seinen Aussagen:
"Sehr viel spricht für die Prionentheorie, aber es gibt keine letzte Sicherheit."
Prionen
Die krankmachenden Prionen sind falsch gefaltete Eiweiße. Um ein Tier krank zu machen, sind zehn hoch fünf solcher Prionen-Moleküle
notwendig. Gemäß der Hypothese werden Oberflächenproteine umgefaltet. Die höchste Erregerzahl wird im Gehirn eines Rindes gefunden,
deshalb können nur tote Tiere getestet werden.
Bei Rindern, die jünger als 24 Monate sind, ist die Konzentration der Erreger so gering, dass ein Test nichts aussagt. Zudem ist mittels
Schnelltest BSE nur maximal sechs Monate vor dem Ausbruch der Krankheit feststellbar.
Die Tests weisen das Vorhandensein von fehlgefalteten Prionenprotein nach. Mettenleiter: "Wir wissen nicht, wie viele dieser positiv
getesteten Rinder auch wirklich erkrankt wären." In Großbritannien seien Tiere analysiert worden, die bereits klinisch krank waren. 180.000
infizierte Rinder seien dort festgestellt worden, in Deutschland wurden bei 180.000 Tests bisher 26 positive Fälle registriert. "Das sind schon
andere Dimensionen", so Mettenleiter.
"Nach dem Blitzen braucht man nicht mehr
langsamer zu fahren ..."
"Wenn Sie in den vergangenen zehn Jahren Rindfleisch gegessen haben, dann macht es keinen Sinn, jetzt damit aufzuhören", sagte der
Anstaltsleiter, der die Angst der Konsumenten mit einem "Radarfallenphänomen" vergleicht: "Nach dem Blitzen braucht man nicht mehr
langsamer zu fahren." Mettenleiter hält "das Rauchen einer Zigarette für erheblich riskanter als den Rest des Lebens Rindfleisch zu essen".
Da in der Grundlagenforschung zu BSE noch so viel unklar sei, bedeutet es für die Mitarbeiter der Riemser Anstalt ein "faszinierendes
Forschungsgebiet". Derzeit stehen vier Rinder zur BSE-Beobachtung in einem Stall auf der nur durch einen Damm erreichbaren Insel im
Greifswalder Bodden der Ostsee. Sie sind allerdings lediglich Verwandte von positiv getesteten Tieren.
Auf Riems stellt man sich auf lange Forschungsarbeiten ein: "Wir brauchen die Millionen dafür nicht jetzt, sondern in Jahrzehnten immer noch",
sagt Mettenleiter. Heute arbeiten 64 Wissenschafter auf der 28 Hektar großen Insel und untersuchen Maul- und Klauenseuche ebenso wie
Nutzfischinfektionen. Gegründet wurde das Institut von Friedrich Loeffler, einem Schüler von Robert Koch. Zu DDR-Zeiten waren hier mehr
als 850 Menschen beschäftigt, neben der Forschung war auch eine Produktionsstätte angesiedelt. (APA)