Zu den amüsantesten Anekdoten zählt jene, in der Alfred Brendel von einer Begegnung mit dem jugendlichen Glenn Gould erzählt. Man traf sich im Haus des schon erfolgreich tätigen Kollegen Paul Badura-Skoda. Nach dem Essen spielte Gould auch Alban Bergs Klaviersonate. Nach der Aufführung sagte Brendel zu Gould, er hätte an einer Stelle nicht den punktierten Rhythmus gespielt. Nachdem man sich gemeinsam eine Brendel-Aufnahme der Hammerklaviersonate angehört hatte, revanchierte sich Gould: Brendel hätte unzulässig eine Oktave verdoppelt. "Das war ganz lustig", erinnert sich Brendel, "und ich muss sagen, dass Glenn Gould sehr charmant war und gut aussah. Er war auch späterhin in einem Aufsatz mir gegenüber sehr freundlich, lobte meine Mozart-Konzert-Aufnahmen und soll in einem längeren Interview in der FAZ gesagt haben, dass er mit mir manchmal lange Telefongespräche führe - vollkommen unwahr." Derlei Schnurren finden sich manche in den vom Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, Martin Meyer, geführten Gesprächen mit dem wohl überlegtesten Gegenwartspianisten. Dennoch wirkt das Buch nie verplaudert. Selbst schier Belangloses hat bei Brendel Substanz. Wo es um handfeste musikalische Fragen geht, finden sich Anregungen und bedenkenswerte Einschätzungen in verschwenderischer Fülle. Ein Beispiel: Brendel verzichtet in Schuberts B-Dur-Sonate (dem Pianistenheiligtum!) auf die Überleitungstakte, die in die Exposition des erstes Satzes zurückführen. Er sieht darin die einheitliche Atmosphäre der Sonate gefährdet. Dem könnte man entgegenhalten, dass der darin enthaltene, höllische Basstriller (im Fortissimo!) erst die Herkunft und die Gefährdung des zarten Themas erfahrbar macht. So kann man sich an vielen Themen intellektuell entzünden und wird stets auf neue Facetten, erstaunliche Positionen stoßen. Brendel, als Musiker dem perlenden Grübeln zugetan, legt Rechenschaft über manche Entscheidung ab, gibt auch Einblicke in persönliche Krisen. Eine langwierige Verletzung etwa hat ihn von manchen Schlachtrössern seines Repertoires Abschied nehmen lassen. Franz Liszts h-Moll-Sonate wird Brendel nicht mehr im Konzert spielen. Ohne Zweifel ein Verlust. Von liebenswerter Ironie durchsetzt sind Brendels Einschätzung mancher Mechanismen und Auswüchse des Musikbetriebes. Dass er sich in Amerika gegen den Widerstand der New York Times durchsetzen konnte, hat ihn ebenso gefreut, wie ihn gedankliche Schlampereien mancher Kritiker belustigen. Beachtlich auch seine Einschätzung über das Wien der 50er-Jahre. Es war eine gute Stadt, um "darin im Protest zu leben". Brendel hat gezeigt, wie man aus Protest musikalisch Funken schlägt. ( Wolfgang Schaufler )