Wien - Als der Widerstand noch kein Spaziergang, sondern eine hassliebende Sprachbemächtigung war, da stückelte Marlene Streeruwitz lauter kleine Papierfetzen so lange zusammen, bis es höhnisch große Stück-Ausrufezeichen geworden waren, hinter denen Punkte verschmockt klebten: Waikiki-Beach. Ocean Drive. Elysian Park. Alles Namen, die XXL-Tragödiengrößen vorgaukelten. Zitathaft Montiertes, linkisch Ausgedrücktes wechselte so lange die Sprecher, bis die "Frau" als Opfer übel ausgerichtet am Bühnenboden lag. Streeruwitz drehte den Theaterkanon so lange durch die Mangel, bis sie unter dem Mahlwerk die Verluste bröselnd hochrechnete: an Zunge, Leib und Bewusstsein. Ihre Texte krümeln stark, rascheln selig. Günstigstenfalls reiben sich die Theater an dem Keksschrott wach und wund. Das Volkstheater, dass sich an Waikiki-Beach. erinnert, möchte zweierlei leisten. Es hält sich an die Vermahlungsvorschriften; und es zieht den Figuren die Splitter aus den geschundenen Leibern. Hinausgeschlüpft So ist die Bürgermeistersgattin Hofrichter der Birgit Doll das mondäne Luder im avocadofarbenen Abendkleid: das ungebärdige Biest, das unter beiläufigem Ausstoßen von Schnapsdampfwolken aus allen Ehekäfigen schnurstracks katzengleich hinausschlüpft. Bühnenbildner Bernhard Kleber hat den Augenschmaus des Abends beigetragen - eine gemächlich sich drehende Burg aus Wellpappendeckel, mit Ventilatoren und blinden Bullaugen, sowie einem spiralförmigen Laufsteg als Sehnsuchtshimmeltreppe. Vorher aber soll die Frau Bürgermeister ihrem Galan, dem Chefredakteur Peciwal, einem dicken Wohlstandskater (Alexander Goebel) mit fieser Jovialität, zu geiler Stunde in den Ruinen eines alten Redaktionsgebäudes süß schmachtend beiwohnen. Entsorgung Regisseur Michael Kreihsl reißt das XXL-Schild aus den Szenen kurz entschlossen heraus. Inszeniert das laue Gezänk als flauschige Kuscheltiernummer; veranlasst Goebel zu einem nutzlos herrlichen Striptease; nimmt Streeruwitz' Diskurs über Frommen und Nutzen eines Vaginal-Suppositoriums samt eingehender Beipackzettellektüre als Albee-Albernheit. Eine männerherrliche halbe Stunde lang fallen die Streeruwitz-Reißsätze den beiden wie Sternstaub aus den Frustgesichtern. Man vergisst sogar, dass der Stand der außerehelichen Hygienedebatte die Tragödienhöhe einer News-Coverstory über trockene Schleimhäute nicht nennenswert übersteigt. - Strindberg überwintert im feministischen Komödienkuckucksheim. Wie gut! Doch dann ist auch schon Schluss mit lustig. Denn unter die Brösel hat die Autorin die Kiesel der Tragödie spitz gestreut. Kreihsl inszeniert fortan atemlos freundlich vom Blatt; stößt sich den Kopf an Kummerzitaten von Puccini und Shakespeare, Tolstoi und Aischylos gedankenlos blutig. Am Schluss wird die von Skinheads geschlachtete Frau Hofrichter von Mann und Liebhaber einträchtig in einen Teppich gewickelt. Auch so hat man ein Stück des Anstoßes viel zu sauber entsorgt. (Ronald Pohl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.02.2001)