Wien - Selten hätte er, meinte Sektionschef Rudolf Wran mit dem Brustton der Überzeugung, ein so gutes Gefühl bei einer Bestellung gehabt. Und auch Kulturministerin Elisabeth Gehrer war am Freitag sichtlich stolz, dass sie mit Johanna Rachinger die dritte Direktorin ihrer Amtszeit - nach Helga Dostal (Theatermuseum) und Gabriele Zuna-Kratky (Technisches Museum) - bestellen konnte. Die 41-jährige Geschäftsführerin des Carl Ueberreuter Verlages wird mit 1. Juni die Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) übernehmen - und damit Hans Marte nachfolgen, der Ende April in Pension geht beziehungsweise zu gehen hat. Die Wahl für Rachinger, die Germanistik und Kunstgeschichte studiert und über das Wiener Volkstheater im 19. Jahrhundert dissertiert hat, fiel in der Bestellungskommission unter elf Bewerbern einstimmig aus; der Zeitvertrag läuft fünf Jahre. Bei der Präsentation ihrer Person schwärmte die Mühlviertlerin über die ÖNB, die mit sechs Millionen Dokumenten, drei Millionen Büchern und 400.000 Manuskripten eine wahre "Schatzkammer" sei: "Als Studentin war ich sehr häufig in der Nationalbibliothek. In den letzten Tagen bin ich dort quasi inkognito wieder herumgegangen und habe mir alles angeschaut. Für mich ist sie ein identitätsstiftendes Symbol, das tief im Bewusstsein der Österreicher verankert ist - wie man spätestens seit dem Brand der Hofburg weiß." Sie erachtet die Übernahme der ÖNB, die ab 2002 eine vollrechtsfähige "wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts" sein wird, als "spannende Herausforderung". Schließlich sind, wie Gehrer ausführte, viele Probleme zu lösen: Die Musikaliensammlung benötigt ein neues Gebäude, die Strukturen seien zu vereinfachen, es gebe Personalengpässe, die Digitalisierung müsse vorangetrieben und der Sammlungsauftrag um das Internet erweitert werden. Hinzu kommt, dass die Basisfinanzierung in der Höhe von 254 Millionen Schilling im nächsten Jahr gleich bleibt. Rachinger, die in den sechs Jahren ihrer Geschäftsführer-Tätigkeit bei Ueberreuter die Produktion verdoppelt und die Umsätze beträchtlich gesteigert habe, will sich daher für die Aufbringung zusätzlicher Mittel engagieren. So sollen die Rechte und Lizenzen - die ÖNB sei "ein riesiger Fundus" - stärker vermarktet werden. Rachinger will zudem die Vermietung der Räume forcieren und strategische Partnerschaften eingehen. In der Schaffung von "profit centers" werde daher - neben der wissenschaftlichen Tätigkeit - der Schwerpunkt liegen. Dass die Aufgabe nicht einfach sein werde, wisse sie, sagt Rachinger. Und hofft auf die Unterstützung der 300 Mitarbeiter, die sie in die Entscheidungen einzubinden gedenke. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18. 2. 2001)