Vergangenen Sonntag ist der Maler Balthus in seinem Chalet in Rossinière im Schweizer Kanton Waadt verstorben. Er bestimmte die Kunst des 20. Jahrhunderts dadurch mit, dass er sich ihren Ideologien und Moden entzog. Rossinière - Der Jüngere der Brüder Klossowski, Balthazar, kam 1908 in Paris zur Welt. Seine Mutter, Else Dorothée Spiro war unter dem Pseudonym "Baladine" Malerin, sein Vater, Erich Klossowski, ein Kunsthistoriker, Maler und Bühnenbildner, machte sich vor allem mit einer umfassenden Studie zum Werk von Honoré Daumier einen Namen. Die Vorfahren der Familie hatten bereits in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts aus politischen Gründen Polen verlassen und waren nach Paris gezogen. Mit Beginn des 1. Weltkrieges zogen die Klossowskis zunächst nach Berlin, dann 1917, nach der Trennung der Eltern, lebten Balthazar und sein älterer Bruder, der spätere Philosoph und Literat Pierre Klossowski, bei ihrer Mutter in Genf. Balthazars eigentliche Vaterfigur war Rainer Maria Rilke. Nicht nur, dass der dem Jungen gesagt haben soll, dass die Tatsache, an einem Schalttag geboren (29. Februar) zu sein, ihn hätte in einen Zeitspalt fallen lassen, in ein Königreich, in dem das Fortschreiten der Zeit keine Rolle spielen würde: Rilke war allgegenwärtig. Er hat für Balthazar eine Schule in Berlin ausgesucht, ihm in Paris die wichtigsten Türen geöffnet, ihm später eine Reise nach Italien finanziert. Außerdem noch schrieb Rilke das Vorwort (und fand einen Verleger) für Balthasars erstes Buch Mitsou, einer Serie von 40 Tuschzeichnungen einer jungen Katze. Man schrieb das Jahr 1921, Balthazar war da gerade dreizehn. Im fortgeschrittenen Alter fügte der Künstler Balthus, der von sich gerne behauptete: "Balthus ist ein Maler, über den nichts bekannt ist.", dem noch hinzu: "Ich habe den Struwwelpeter geliebt, vor allem den Fliegenden Robert ."

Giacometti und Artaud

In Paris dann liebte er die Gesellschaft von Braque, Derain und Giacometti, André Malraux, Antonin Artaud und Paul Éluard, von Jean-Louis Barrault und Madeleine Re-naud. In Italien widmete er sich den Toten: Piero delle Francesca, Masaccio und Masolino - die machten ihn endgültig zum Maler. Paris erregt sich wirksam über seine Arbeit: Mit Leçon de Guitarre bricht er anlässlich seiner ersten Einzelausstellung 1934 in der Galerie Pierre die gängige Norm für Nacktheit im Bild und setzt eine lesbische Gitarrenlehrerin, die offensichtlich ihre Schülerin missbraucht, ins Zentrum allen Geschehens, ins Wohnzimmer. Die bewusste Provokation sollte wirken. Das Bild des Pornographen war geboren, und trotz aller Beteuerungen des Meisters (der, sich seiner aristokratischen Wurzeln besinnend, gerne mit Comte Balthazar Klossowski de Rola angesprochen wurde), er wäre im Gegenteil ein praktizierender Katholik ("Kunst ist religiös, oder sie ist keine Kunst") - es war nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Nicht durch Picasso, der 1937 Les Enfants erwarb, nicht durch sein Bühnenbild für Albert Camus Die Pest, nicht durch die Schau im Museum of Modern Art in New York, 1956 oder Jean Clairs Retrospektive im Centre Pompidou 1983. Auch nicht dadurch, dass ihn Frankreichs Kulturminister, André Malraux zum Direktor der Académie de France in der Villa Medici in Rom machte, die Balthus 15 Jahre lang leitete. Alice und Lolita Und so fanden sich durch die Jahrzehnte immer wieder gleich unpassende Vergleiche: Ein malender Lewis Carroll soll er gewesen sein, ein Vladimir Nabokow, oder, für die ganz Schlichten, sogar ein David Hamilton. So weit, so einfach. Das Werk und die darauf gerichteten Projektionen waren schon immer zweierlei - und Balthus einer der wesentlichen Künstler-Künstler des vergangenen Jahrhunderts. Er war einer der wesentlichen Anreger jener Moderne, der er nie angehört hat. Und auch nicht wollte. Seine Enthaltsamkeit dem Kunstleben gegenüber mag ebenso Kalkül gewesen sein, wie die frühe Provokation. Zumindest war sie ebenso wirkungsvoll. Balthus hat es einfach verstanden, der schlichten Tatsache von Farbe auf Leinwand etwas unerhört Zwingendes abzuringen. Unberührt von den Träumen der Surrealisten, unbeeindruckt von der Selbstbespiegelung der Moderne, fern jeder Diskussion um Realismus, Abstraktion oder Gegenstandslosigkeit, hat er - an einem Stück oft jahrelang - versucht, "der Welt Ausdruck zu verschaffen". Die ist nun einmal ohne Moral, lässt sich nicht ideologisch auf die Schliche kommen und darin, wo ihr Geheimnis nun liegt, eben nicht bevormunden. Sie fordert Distanz. Picasso soll Balthus gesagt haben, er würde ihn gerade deswegen so schätzen, weil er der einzige wäre, den er nicht beeinflusst hätte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. 2. 2001)