Wien - Nichts mehr vom Flirren des Vorjahres, vorbei die allseitige Anspannung des "Wendeballs". Ball-Business as usual in der Wiener Staatsoper. "Es ist entspannter heuer", vergleicht auch Finanzminister Karl-Heinz Grasser - heuer so gar nicht mehr im Schlepptau von Frank Stronach nachtrippelnd. Grassers Ballprogramm? "Hände schütteln, Hände schütteln, Hände schütteln." Seine Freundin ergänzt: "Gähnen, gähnen, gähnen." "Es is’ weniger krampfig als im letzten Jahr", bestätigt auch Bürgermeister Michael Häupl, um dann doch gleich nachzulegen: "Der Chor der Gefangenen bei der Eröffnung? Passend. Zu Ehren der Bundesregierung gesungen." "Is’ die Farrah Fawcett eigentlich noch da?" - mangels internationaler Prominenz schwirren Journalisten aus, um wenigstens politische Wortspenden einzusammeln. "Tun s’ auch grad interviewen?", fragt eine ihren Kollegen mit gezücktem Notizblock. "Na. Ich schreib eigentlich grad meine Memoiren." Der "Gendefekt" Am Logengang lehnt ein gelangweilter Befrackter, anderen Befrackten nachschauend: "Eigentlich ist das ein typischer Wiener Gendefekt: So ein Hochwohlfrackgeboren." "Hallo, hallo - so sieht man sich wieder", eilt Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer vorbei. Für einen kurzen Moment nicht im Zwillingspack mit Kanzler Wolfgang Schüssel auftretend. Einer dieser Doppelpass-Auftritte beim Neopolitiker Hannes Kartnig, dem Schüssel gleich einen Orden anheftet. "Schau, er spielt scho’ in der Champions League", ist im Umfeld zu hören. Altkanzler Franz Vranitzky kommentiert: "Der Kartnig hat so viel g’wonnen, jetzt möcht’ er einmal mit dem Verlieren anfangen." Langsam dringen Nachrichten von draußen ins Opernhaus. Die Ausschreitungen der Demo wecken Erinnerungen. "Meine letzte Aktion war eine Hausbesetzung in der Margaretenstraßen", erinnert sich ein Politiker. Nur ein kurzes Besetzen war das. Und ein gewaltfreies, selbstredend. Eine der unzähligen Begegnungen am Gang: "Grüß’ Sie, Herr Generaldirektor! Ergriffenheit!" Häupl, trifft nach dem Logenbesuch bei Bundespräsident Thomas Klestil und dem kroatischen Präsidenten Stipe Mesi´c auf Karl Schranz: "Servas Karl." Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll verabschiedet Christiane Hörbiger und Gerhard Tötschinger: "Es war so schön." Dann posiert er mit dem "Austronauten" Franz Viehböck: "Der war am Mond, da war i no net." Unweit posiert Modeposeur Rudolph Moshammer, ungegrüßt. Die "Schabracken" Ein ganz normaler Ball also; sehen, sich anschau’n lassen, kommentieren. Der angeödete Befrackte am Logengang hat inzwischen eine Robe im Auge: "Nach dem Abend weiß ich immer, warum s’ in Wien Schabracken sagen." Andere geben sich später der ausklingenden Ball-Braterei in der Bristol-Bar hin, wo am Nebentisch die letzte Gelegenheit genutzt wird, einen abwesenden Nebenbuhler ins rechte Licht zu rücken: "Was der? Ich bitt’ Dich, das ist ein Parvenu! Das sag’ ich nicht, weil ich Dich verehre, sondern als Freund: Der ist der letzte Ruß!" Wenig später, so gegen halb fünf, der erste freundschaftliche Zungenkuss.(DerStandard, Print-Ausgabe, 24.2.2001/Roman Freihsl)