In Villach gestaltete er Kirchenfenster, in Klagenfurt entwarf er ein preisgekröntes Café. Hauptsächlich aber entwirft der Kärntner Bildhauer, Körperkünstler, Kunst- und Lebensphilosoph Viktor Rogy sich selbst: in immer neuen Gestalten, Variationen, Doppelgängern. Einfach geht sich Rogy einfach nicht aus. Ein Versuch über den Ort der Schwebe als Denkform der Kunst von Friedbert Aspetsberger. "geboren am 27. 7. 1924 in arnoldstein-gailitz/kärnten besuchte die volksschule die hauptschule die volksschule (zurückversetzt) und die innere akademie äußeres sargmaß: sargmaß bei fuß war 9 monate schusterlehrling 2 jahre maurerlehrling angelernter stukkateur und steinmetz zwangssoldat jodler deserteur simulant giftmischer sprengmeister reimer letzteres 1970 beim arnoldsteiner wasserfall: POLITIK TSCHIK kein ausstellungsschlecker. stellt im prinzip nur aus, wenn er eingeladen wird." Viktor Rogy über sich selbst Rogy sieht sich selber als Büro. Als Tänzer. Als Spind-Künstler. Als Kreuz-Künstler. Als Bewunderungskünstler. Als Selbst-Erbauer. Als manches andere mehr. Und als vieles andere wurde er schon gesehen, auch als eine lebende Allegorie der unberechenbaren Kunst. Aber das meiste an der Kunst, nämlich sie, ist unsichtbar, sagt Rogy. Das wieder ist durch die ewige Frage bekannt: Was soll denn daran Kunst sein? Kunst ist auch insofern ewig. Kommt Rogy, mit dem Homburg und den langen und breiten Revers und dem kurzen Stoß (sagt man beim Hemd, aber wie) beim Rock, sieht nicht jeder die Kunst. Die Wissenschaft wird uns nicht helfen können, vielleicht die ewige Kirche. Zum Beispiel eine aus dem Historismus: Im Villacher Stadtpark stehen große Bäume um die evangelische Kirche in Backstein-Gotik. In ihre Spitzbogenfenster ließ Rogy zwei Schichten von verschieden stark verspiegelten Lichtschutzgläsern einsetzen, deren unterschiedliche Durchlässigkeit nach der Seite des stärkeren Lichts spiegelt, nach der des schwächeren durchsichtig ist. Bei Tag spiegelt die Kirche daher - von außen gesehen - die Bäume, den Himmel und ihre eigene Backsteingotik, von innen aber schaut alles gläsernst durchsichtig aus und schaut alles glasernst durch, Himmel, Bäume, Räume, Gotik. Dieses Fensterglas-Licht scheint klarer als klar zu sein, der Kirchenraum heller als er ist, wenn er hell ist, und dunkler, wenn er dunkel ist, die Bäume draußen schauen herein wie von Magritte im Wind bewegt. Oder sagt man das nicht, weil bei Magritte alles stillsteht? Aber so ähnlich ist es. Still, und stark vom Wind bewegt. Aus Hölderlins Gedicht Hälfte des Lebens nimmt Rogy das Wort für sein Glaskunstresultat-Licht: "heilignüchtern". So schön sehen es auch die Kirchenobern und so gilt es auch für die an ihren Leitungsdrähten aus den Kreuzgewölben hängenden Glühbirnen. Ist am Abend das stärkere Licht innen, so spiegelt sich ... eben, man kann es sich ausrechnen. Rogy beteiligte sich am Wettbewerb für die Gestaltung des Kolig-Raumes im Landhaus in Klagenfurt. Es handelt sich um den Raum, in dem die Kärntner Nazis die Fresken Anton Koligs abgeschlagen haben und den jetzt Anton Koligs Enkel Cornelius als Gedenkraum gestaltete. Rogy kam bei der Auftragsvergabe nicht zum Zug, obwohl er, mehrfach bzw. jedenfalls zweifach das Vorlegen des Vertrags zur Unterschrift erwartend, in den ausgesuchten Kika-Möbeln bereitsaß, um sie umgehend ins Landhaus liefern zu können. Rogy, fast immer mehrfach fotografiert, weil er sich einfach einfach nicht ausgeht, weiß sich nicht immer zu entscheiden, ob er das eine oder doch auch das andere ist und wer oder was das noch ist. Seine Doppelgänger werden von seinen Bekannten auf allen möglichen Fotografien aufgefunden und bei ihm abgegeben. Oft genügt ein Glatzkopf, manchmal ein Glatzkopf mit Schicksal (wie bei den beiden Marschällen Grigorenko), manchmal ein Glatzkopf mit Schwimmerleib, manchmal die offenbare Debilität - oder ist das jetzt schon ein Foto von Rogys Körperkunst, auf dem die Debilität gewichtig auf dem schwachen Sockel der Genialität aufsitzt? Es genügt aber auch die Schönheit Erichs von Stroheim oder George O'Brians oder des Tänzers Harald Kreuzberg, um als Doppelgänger Rogys diesen zu reproduzieren. Rogy ist als selbsttragender Fund-Künstler gebaut, er kann aber auch von den Menschen draußen jedenorts und jederzeit aufgefunden werden, wenn sie sich mit seiner Kunst einmal zurechtgefunden haben. Das Fremde dient zur Selbsterbauung des Selbst-Erbauungskünstlers, für den er sich gerade hält und als der er sich dann auch restlos ausgibt. Zum Beispiel in einem fotostummen Freudenausbruch, wenn er überraschend seine Kleidung findet. Kann man ihn von seinem Anzug wirklich unterscheiden? Nicht einmal Rogys Schneider, vermute ich, der sowohl die Puppe wie die Menschen-Figur möglichst knapp in den Rock einnäht. In diesem Sinn entscheidet sich auch die Polizei für Rogys Kleidung, wenn er z. B. gegen den Abriss von Bauwerken, die schöner als alt waren und jedenfalls schöner als neu, protestierte und, noch auf dem Boden, geworfen, so fest im Recht war wie dann von der Polizei eingenäht. Rogy, in diesem Sinn immer wieder Polizei-Künstler, ohne die Erfordernisse einer Anstellung zu erfüllen, ist nicht anders in Polizei-Händen als er in der Hand Harald Kreuzbergs ist oder in den weißen Handschuhhänden Erich von Stroheims: In jedem Falle ist er Tänzer, als Einzelner vielfach und daher vollendeter, als Gilbert und George zu zweit vollendet sind. Es gibt eine Aufnahme von Kreuzberg, auf der er eine Hand so vor die schwarze Kleidung hält, dass es scheint, als ob sie in seiner Schulter ruhe wie eine Reliquie im Schaukasten des Altar-Aufbaus. Vergleichbar der alten Eleganz der Tanz-Hand in der Schulter und doch ganz anders ist Rogys moderne Kunst in Rogys Körper eingelegt, eingerext, eingerext eingewachsen - vielleicht nur so elegant, wie bei Stephen King der nie selbstständig geborene Zwilling in den Körper des geborenen eingewachsen ist, mit Unfertigem und zugleich Resten wie Fingernägeln und Haaren. Hyperkinetisch sucht Rogy, sei es bei den Tanz-Performances, sei es in den Händen der Polizei, seinen eingewachsenen Zwilling Hoch-Kunst herauszupressen. Die Wehen verkrümmen ihn und krampfen Leibsteile zusammen. So schreibt sich auch seine Menetekel-Leuchtröhrenschrift und so schreiben sich seine andern Kalligrafien. Mitten im spastischen Tanz-Vorgang aber stockt die Geburt, der Krampf der proximalen Extremitätenmuskulatur führt die Bewegung, die nach außen drängt, wieder zurück in das Herz und schon schlägt Rogy zu Boden, gefällt. Applaus, als ob die Kunst ihn fallen ließe. Auf den Dokumentationsfotos dieser Tänze sind seine Engelsstürze fixer Bestand. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Rogy gebraucht, als Palliativ gegen die Deformierungen durch die eigene Kunst, wie sie im Gestürztwerden seiner Engelsgestalten sinnenfällig wird, ein Kügelchen unter der Oberlippe. Es wird von der Lippe auf das Oberkiefer unter der Nase, die sicherheitshalber mit Hansaplast überklebt wird, gepresst, was, durch nunmehrige Überwölbung des Bartansätzchens am untersten Ende der so genannten Rotzrinne ("Osterwitzbärtchen"), diesen bereits vollbrachten, kalten Auswuchs gegen das Versengtwerden durch die im Innern weiterwütende Körperkunst absichert. Auf ähnliche oder vergleichbare Weise muss Stifter zu seinem berühmten Sanften Gesetz - Stifters Osterwitzbärtchen! - gekommen sein. Aber vom Episodischen zurück zur Wahrheit. Eine Grundform von Rogys Kunst, die konkreter erscheint als sie ist, ist der Reißnagel, Meisterwerk, Meisterdesign der industriellen Serienproduktion. Aus einer glänzenden Kreisform wird ein Flächenteil zwischen zwei sich schneidenden Schenkeln eingeschnitten, der, an der Spitze des Dreiecks, das die Schenkel mit einer gedachten Basis bilden, aus der Kreisform weg aufgebogen wird, ihr aber an der Basis der zwei Schenkel fix verbunden bleibt. Ein aggressiver Keil, dessen Herkunft sichtbar ist, erhebt sich über der glänzenden, es scheint friedlichen Kreisform. Rogy erinnert, scheint es (schon wieder "scheint es"!), mit diesen und zahlreichen anderen Zeichen an die großen Begründungsgeschichten, der Götter, der Welt, der Menschen, der Geschlechter, der Kunst. Die Kunst zeichnet er - auf der kleinen Musterkarte c'est la vie - durch zwei sich überschneidende Kreise, aus deren Überschneidungspunkten er ein Kreuz zeichnet. Die Kreuzbalkenkreuzung sieht er als den gesellschaftlichen Ort, an dem sich der Kunst-Kreis mit dem Kreis der Kunst-Betrachter verbindet. Im Weiteren ist das Kreuz auch das Kreuz der Imitatio Christi, des Leidens um der Herstellung eines richtigen Ortes c'est la vie willen. Da ist es nur natürlich, dass bei den Performances das tonlos stöhnende und sich krampfende Mängelwesen bestimmend wird und die Engelsstürze jedenfalls lauter als der Applaus klatschen. Da ist es nur natürlich, dass das Banalste in seiner, noch von keinem Keil verletzten, Schönheit als Glück des Lebens erscheint und als ein Signal für die mögliche Hoch-Kunst fungiert. Daraufhin ist das Belanglose und das Heroische sofort eins. Und es wird auch der "totale" Einsatz, den Rogy seinem Kunst-Leben-Spiel zubilligt, verstehbar, nämlich sein Satz (der im Fernsehen mit dem Osterwitzbärtchen auch zu sehen war): "Nur über meine Leiche." Nur über seine Leiche gelänge es, was er als Kunst ausstellt, abzuhängen; in diesem Fall eine Darstellung der gegenwärtigen Regierungsmannschaft. Den Kreuz-Ort der Begegnung zwischen Kunst und Gesellschaft will er immer noch selber bestimmen, als Kunstexperte, als Kreuz-Künstler. Zum Abschluss. Aus dem Einen der schönen Kreis-Fläche und des aggressiven Keils des Reißnagels hebt Rogy den "reduzierten Keil" als repräsentatives Zeichen für seine Kunst heraus: Der "reduzierte Keil" ist - wenn Sie sich das vorstellen möchten - die gedachte rechteckige Grundfläche des aufgebogenen Reißnagelkeils. Diese gedachte Grundfläche gehört ebenso zur vollendeten und friedlichen Bodenfläche wie zum aufgestellten aggressiven Keil, ist aber als Schwebe zwischen den beiden für beide eigenschaftslos gedacht. Dieser Ort der Schwebe zwischen Daseinsformen, Funktionen, Zwecken u. a. bildet, scheint mir, für Rogy die zentrale Denkform seiner Kunst, viel stärker als Anwendungen wie der Kitsch, die Aggression, die Aktion, die Serie, die Aufhebung des Originals und so weiter. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25. 2. 2001)