"Ausländer: Ich verstehe die Sorgen der Wiener", wahlkämpft die FPÖ. Weniger brachial als mit "Stop der Überfremdung", aber trotzdem. Betroffen? Nein, fühlt sich Erdem Tunakan von den Plakaten nicht. Ist er doch seit Jahren Österreicher, spricht schlechter Türkisch als Deutsch und passt mit florierender Firma und internationalem DJ-Renommee auch sonst nicht in das so gern plakatierte Klischee von den Ausländern. Betroffen fühlt er sich nicht – aber: "Ich ärgere mich tödlich. Was mich an Rassismus so erschüttert, ist, dass die Leute so arg drauf sein können." Aus Erschütterung ist Engagement geworden: Tunakan legt immer wieder bei Anti-Regierungs-Events auf.

In seinem Soziotop spiele Fremdenfeindlichkeit keine Rolle: "Ich krieg’ das auf anderer Ebene mit. Muss die immer gleichen Fragen beantworten – etwa die nach dem ewigen Kopftuch." Als ob seine deutsche Frau ein Kopftuch aufhätte. Oder er sonst in Gastarbeiterklischees passen würde. Das hat schon sein Vater, der das Salzburger Mozarteum mitgebaut hat, nicht.

Bei seiner Mutter ist das anders: Sie lebt "in der türkischen Community". So nennt es Tunakan. Politiker nennen das oft das "Problem Gettobildung". Da kann Tunakan nur verärgert lächeln: "In New York gibt es Chinatown, Little Italy – man soll weltweite Phänomene nicht als das Urproblem sehen. In Meidling wohnen lauter Pensionisten, und niemand sagt, das ist ein Pensionistengetto."

Ob er sei, was sich Politiker von Migranten wünschen: integriert? "Ich hasse das Wort Integration. Das hört sich nach geschliffen, gebeugt an. Was ist Integration? Wenn ich nicht in die Moschee gehe? Wenn ich viel Steuer zahle? Integration muss beidseitig sein. Wenn Türken Schnitzel essen, löst das kein Problem."

Chance dank Zilk

Die Lieblingsspeisen des türkisch-österreichischen Modeschöpfers Atil Kutoglu sind Tafelspitz und Kaiserschmarren. "Mein Zuhause ist Wien", sagt er. Seine Eltern – die Mutter Architektin, der Vater Diplomchemiker – schickten ihren Sohn an die deutsche Schule in Istanbul. Danach studierte Kutoglu Betriebswirtschaft in Wien. Liebstes Hobby: Mode. Wie setzt man als Türke mit unaussprechlichem Namen seine Vision um? Indem man Chancen nutzt.

So sah Kutoglu zufällig in der Straßenbahn den damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk und fragte dessen Begleiter, ob er ihn ansprechen dürfe, was ihm sofort gewährt wurde. "Das wäre in der Türkei, aber auch in jedem anderen Land kaum möglich", sinniert Kutoglu. "Wir müssen was für ihn tun", befahl Zilk. Tatsächlich erhielt der junge Designer ein Stipendium, um an der WU seine erste Modeschau zu machen. Die Salons der höheren Gesellschaft öffneten sich, und Wolfgang Schüssel (noch als Vizekanzler) präsentierte ihn als Beispiel für die Verbindung von Wirtschaft und Kunst.

"Mich fasziniert an Österreich die Liebe zu den Künsten", sagt Kutoglu. Probleme als Ausländer? "Keine." Vorläufiger Höhepunkt seiner Karriere: Zur Ausstellung "Klimt und die Frauen" im Belvedere wurden kürzlich seine Kleider gezeigt. Wenn er im Ausland auf Haider angesprochen werde, betone er, dass er keine negativen Veränderungen sehe. Und die Plakate der Wiener FPÖ? Ihm erscheine der Ausländer- Spruch schlicht "kleinlich".

Mit dem Kopftuch, das viele türkische Frauen in Wien tragen, ist er nicht aufgewachsen. Seine Eltern waren den Ideen Atatürks, der als "Vater der modernen Türkei" gilt, verpflichtet. Ein bisschen schmerzhaft empfinde er diese Abkehr von der damaligen Offenheit schon. "Aber ich habe natürlich großen Respekt vor dem Glauben." Und: "Man sollte Leute nicht danach beurteilen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht." Die nächste österreichisch-türkische Generation werde aber mit solchen Traditionen brechen und von Österreichern nicht mehr zu unterscheiden sein.

Das ist Bogdan Ro s ci´c schon heute. Frömmigkeit war nie seine Sache, und überhaupt ist der Ö3-Chef "waschechter Österreicher. Ich kann mir ein Leben ohne regelmäßige Zufuhr von Erdäpfelsalat nicht vorstellen." Das habe auch mit seiner Geburtsstadt Belgrad zu tun: "Wenn das Land, in dem ich geboren bin, sich nicht so verändert hätte, könnte das anders sein."

Der Wandel von Tito-Jugoslawien, das der zehnjährige Ro s ci´c mit seinen Eltern vor fast 30 Jahren verlassen hat, zum Kriegsgebiet ist nicht der einzige Grund, warum er Begriffe wie "Leben zwischen zwei Welten" und andere Umschreibungen für den Zwiespalt von Zuwandererkindern nie auf sich bezog: "Ich war halt ein Akademikerhaushaltssöhnchen, das bald kaum von einem kleinen Linzer zu unterscheiden war."

Sicher, es habe Vorfälle gegeben wie den Nachbarn, der die Bandprobe von Ro s ci´c zu laut fand und schrie: "Den Lärm könnt’s bei eurem Tito unten machen." Abgesehen von diesem "gemütlichen Alltagsrassismus" habe er selten Fremdenfeindlichkeit erlebt: "Das hat auch damit zu tun, dass man mir nicht ansieht und anhört, wo ich herkomme. Dadurch ist mir einiges erspart geblieben."

Und dadurch verfolgt er Debatten über "Überfremdung" und Co nicht mit persönlicher Betroffenheit, sondern "wie jeder politisch Interessierte. Der Ich-Zugang – ich als Frau, ich als Ausländer – ist ohnehin schrecklich. Man muss kein Huhn sein, um ein faules Ei entdecken zu können." Nur selten fällt er aus der Rolle des coolen Intellektuellen: wenn zu viel von den Serben die Hetze ist oder Bomben auf Belgrad bejubelt werden.

Ansonsten sieht er sich als 100-prozentig integriert – vorbehaltlich seines latenten Unbehagens beim Wort Integration: "Ist mit Integration gemeint, dass jemand nicht mehr auffällt?" Gerade das Thema Ausländer verführe zu einfachen Denkmustern und scheinbar einfachen Lösungen. Beide sind Ro s ci´cs Sache nicht. Er lehnt "exotische Stellvertreterdebatten" wie die um Gettos genau so ab wie verfestigte Bilder von den Ausländern: "Ich kenne viele Ausländer – welche mit Kopftuch, welche mit Nadelstreif."

"Weltbürgerin"

Sie hat eine australisch-portugiesische Doppelstaatsbürgerschaft, ist in Osttimor geboren und mit einem Österreicher verheiratet. Wer die Popsängerin Sandra Pires nach ihrer "Heimat" fragt, bekommt die Antwort: "Ich bin Weltbürgerin." Aber in Wien gefalle es ihr besonders gut.

Vor achteinhalb Jahren urlaubte die damals in Australien lebende Sängerin in Wien und bat, als Gast der Jazzbar "Papas Tapas" singen zu dürfen. Sie durfte – und man war begeistert. Der Barbesitzer ließ die zierliche Schönheit daraufhin mehrmals nach Wien einfliegen – und der Liebe wegen blieb sie.

Probleme hatte sie in Österreich nicht. "Ich war eine willkommene Ausländerin, weil ich Künstlerin bin." Ihr Rezept gegen wechselseitige Fremdheit: "Das Wichtigste ist Integration, die Sprache lernen. Es bringt nichts, sich in seine vier Wände einzuschließen. Ich bin jemand, der sich sehr schnell anpasst."

Österreicher seien nicht ausländerfeindlicher als Einwohner anderer Länder, glaubt die Vielreisende. Was sie zu den Plakaten der Wiener FPÖ sagt? "So was nehme ich nicht ernst." Zum Widerstand gegen die Regierung fühlt sie sich nicht verpflichtet, obwohl es Aufforderungen gab, dagegen zu singen. "Was soll ich auf der Straße sagen, was falsch ist? Uns geht es hier doch eigentlich so gut!" Ein Konzert im Auftrag der FPÖ würde sie aber nicht geben.

Da die ganz große Karriere von Österreich aus schwierig zu sein scheint, wird sie demnächst einen Zweitwohnsitz in Los Angeles eröffnen. Was sie eigentlich nur ungern tut.

Aktuelles Projekt: Sie macht ihren ersten Film, mit Reinhard Schwabenitzky. Eine Komödie, gedreht in Los Angeles, Luxemburg, Salzburg, Wien. Fast so spannend wie ihr wirkliches Leben.

Wahlthema Ausländer

Mit "Wien darf nicht Chicago werden" begann die FPÖ 1990, das so genannte Ausländerthema für den Wahlkampf in Wien zu entdecken. Plakate aus dem Jahr 1999 wie "Stopp der Überfremdung" wurden von den EU-Weisen gerügt. In diesem Wiener Wahlkampf plakatiert die FPÖ "Ausländer: Ich verstehe die Sorgen der Wiener".

Exakt 284.691 Menschen mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft leben in Wien, 17,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese Zahl ist aufgrund der restriktiven Zuwanderungspolitik seit dem Jahr 1994 ungefähr gleich geblieben.

Der Großteil der ausländischen Wohnbevölkerung kommt aus der Bundesrepublik Jugoslawien (81.004), gefolgt von der Türkei (43.343) und Bosnien-Herzegowina (20.129). Im Vorjahr wurde 9700 Migranten die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Die ausländische Wohnbevölkerung konzentriert sich auf wenige Wiener Bezirke, und zwar auf die mit privaten Gründerzeithäusern: So beträgt der Ausländeranteil im 15. Bezirk 33 Prozent. Lange Zeit war Ausländern der Zugang zu Gemeindewohnungen verwehrt (übrigens auch ein Wahlkampfthema): Jetzt werden 1000 Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen für sie geöffnet. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.3.2001)