Universitätsprofessorin Marguerite Dunitz sieht Ursache im
Gesundheitswahn
Wien/Graz - "Mädchen, welche an Anorexia Nervosa leiden, der sogenannten Pubertätsmagersucht, werden grundsätzlich immer jünger. Es ist absolut
keine Seltenheit mehr, dass Kinder im Kindergartenalter mit aktiven 'Ich
will nicht dick sein' in eine schwere und gesundheitsgefährdende
Essverweigerung schlittern." Das weiß Marguerite
Dunitz, Universitätsprofessorin für Kinder- und Jugendheilkunde und
gleichzeitig auch Psychotherapeutin aus der täglichen Praxis an der
Grazer Landes-Universitätsklinik, wo sich solche Fälle häufen.
Die Ursache dafür ortet Dunitz bei Eltern, Tanten und LehrerInnen, die
durchaus in bester Absicht gesundes Leben propagieren, dabei aber übers
Ziel hinausschießen. "Wenn Kinder ständig hören, dass verfeinertes Mehl
nicht gesund ist und Bananen weichlich machen, führt das bei
intelligenten und sensiblen Kindern dazu, dass sie anfangen, Essen
ideologisch zu kontrollieren." Die Kinder verlieren die intuitive und
natürliche Sicherheit, was gut für sie ist und was nicht. "Bei aller
Kritik für Fastfood ist die Gesundheitswelle mindestens so
problematisch".
Graz ist die einzige Universitäts-Klinik im deutschsprachigen Raum, die
sich auf Essstörungen von Babys und Kleinkindern spezialisiert hat. Aus
ganz Europa kommen Eltern mit Säuglingen, die nicht essen wollen
und/oder nicht können. Das Team um Dunitz und ihren Ehemann,
Universitätsprofessor Peter Scheer hat eine Besonderheit:
ÄrztInnen, Schwestern, PflegerInnen, AssistentInnen, SozialarbeiterInnen, TherapeutInnen haben
eine fastausnahmslos eine
zusätzliche psychotherapeutische Ausbildung.
Es sei nicht so, dass die PatientInnen entweder nicht essen wollen oder
nicht essen können. "Für uns ist es immer ein sowohl als auch. Wir
betrachten unsere PatientInnen als "Synthese" oder "psychosomatische
Konfusion" zwischen nicht können und nicht wollen", erklärt Dunitz den
Ansatz des Grazer Teams.
Marguerite Dunitz ist Präsidentin der Gesellschaft für seelische
Gesundheit in der frühen Kindheit (GAIMH)
http://www.gaimh.de
im
deutschsprachigen Raum. Diese Weltorganisation, die MedizinerInnen und
interdisziplinäre ProfessionistInnen verschiedenster Berufsrichtungen
vereint, die sich für die ersten drei Lebensjahre interessiren, wird von
26. bis 28. April im Hotel Modul ihre sechste Jahrestagung abhalten. Das Thema,
das von allen Seiten beleuchtet wird: "Die Bedeutung des Vaters in der
frühen Kindheit".