Wenn ab Mitte März an österreichischen Uni- versitäten Streikmaß- nahmen vorgesehen sind, geschieht dies nicht aus Jux und Tollerei, sondern aus dem Mut der Verzweiflung junger Assistenten und Assistentinnen und vieler Professoren und Studierenden. Was bringt eine in Österreich seit Jahren eher handzahme Berufsgruppe plötzlich dazu, mit der Einstellung ihrer Arbeit zu drohen? Zugegeben, manche der von der Regierung angekündigten Maßnahmen sind durch die in den letzten Jahrzehnten eingetretenen realen Verhältnisse an vielen Universitäten und durch deren Tendenzen zur Erstarrung längst fällig geworden. Die nun vorbereitete "Vollrechtsfähigkeit", sprich De-facto-Privatisierung der Universitäten stünde aber in völligem Gegensatz zu deren aufklärerisch-bildungsbürgerlichen Grundgedanken und würde das gewachsene innere Gefüge der Hochschulen zerschlagen. Eingeschlagen wurde dieser Weg peinlicherweise bereits unter den letzten rot-schwarzen Regierungen, beschleunigt und radikalisiert unter Blau-Schwarz - auch von Politikern und Politikerinnen, die sich als prononciert "bürgerlich" verstehen. Denn eine ausschließliche oder überwiegend nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgende Ausrichtung der Universitäten widerspricht nicht nur allen Bekenntnissen zum Wert der Bildung und des selbständigen Wissens, sondern wird auch ökonomisch mehr Schaden als Nutzen anrichten. Eine verstärkte Verschulung kann zwar mehr stromlinienförmige "Low-" und "Medium-Tech"-Spezialisten produzieren, Spitzenleistungen und Kreativität benötigen aber langen Atem und stabile Strukturen, sowohl in den "harten" Wissenschaften und in der technischen Forschung als auch in den Kulturwissenschaften und Künsten. Gerade das kann ein ständiges Hinterherhecheln und Schielen nach dem "großen Wirtschaftsgeld" nicht bringen. Tatsache ist, dass es in Österreich außerhalb des staatlich geförderten Bereichs kaum Grundlagenforschung gibt und privat finanzierte Forschung überwiegend produktionsorientiert stattfindet. Vorbild USA? Selbst im "gelobten Land" mancher "Neoreformer", in den USA, ist man sich bei den Großsponsoren und in den Leitungen der "good universities", sprich der sehr guten der "Ivy League" oder Stanfords, der Wichtigkeit von unmittelbar zweckbefreiter Forschung voll bewusst, und es gibt hier Abteilungen und interdisziplinäre Forschungsgruppen, die ohne direkte Nutzanwendung forschen und denken können und nicht auf Regierungswunsch in genau zehn Jahren einen Nobelpreisträger zu produzieren haben; sie tun es ohnehin. Die Universitäten und Colleges der breiten "Unterliga" aber zahlen den Preis dafür: Sie sind nirgendwo ein Vorbild. Überhaupt scheint es, als dokterten am Krankenbett der österreichischen Universitäten zu viele selbst ernannte Besserwisser und thatcheristische Kurpfuscher herum, die die USA und Westeuropa nur von Kurzzeitbesuchen oder vom Hörensagen kennen. Dementsprechend wird oft übersehen, dass es hierzulande in vielen Wissensbereichen praktisch keinerlei Möglichkeiten gibt, private Drittmittel einzuwerben oder zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungsstätten zu wechseln. Dies ist auch die (falsche) Grundannahme, die dem vom Bildungsministerium in Aussicht gestellten neuen Dienstrecht zugrunde liegt: Es soll nicht nur den (in vielem zwar obsolet gewordenen) Beamtenstatus der Universitätslehrer abschaffen, sondern auch die Bleibemöglichkeiten von jüngeren Wissenschaftern und Wissenschafterinnen kappen; ihre Karriere wird dann - nicht dem Buchstaben des Gesetzes nach, wohl aber in der zu erwartenden, von finanziellen Engpässen geprägten Universitätsrealität - in den seltensten Fällen bei einer Dauerprofessur enden. Dem "Schweinezyklus"-Problem der durch ministerielle Federstriche früherer Jahre geschaffenen "Verprofessorisierung" der Universitäten, vor deren Toren tatsächlich viele begabte junge Wissenschafter/innen warten, soll durch "Wegwerfassistenten" abgeholfen werden. Gerade die besten dieser Kurzzeitassistenten werden abwandern, vor allem ins Ausland. Ganz besonders tangieren die vorgesehenen "Kündigungen durch Fristablauf" Frauen, die aufgrund des Kohorten-Phänomens schon relativ stark in der jüngeren Wissenschaftergeneration vertreten sind und nun ausscheiden müssten. Den älteren Professoren, von denen sich manche vergeblich eine Rückkehr zu verflossener Professorenherrlichkeit erwarten mögen, werden bald die anregenden und kompetenten wissenschaftlichen Gesprächspartner abhanden kommen. Hierarchisierung Dazu kommt: Als (vielleicht sogar von der neuen Regierung gewünschter) Nebeneffekt wird die "Universität neu" die schon durch das seit 1993 geltende Universitätsgesetz gegebene Tendenz zur Hierarchisierung und Ausrichtung an einer fast absoluten Universitätsführung verstärken. Der innerkollegiale Selbstbestimmungsprozess und die Mitbestimmung werden in der rein ökonomischen Logik keinen Platz mehr finden. Fazit: Anstatt das zweifelsohne bestehende Problem der vielfach schon erfolgten Versteinerung des Universitätspersonals und der inneruniversitären Bequemlichkeit bei knappen finanziellen Mitteln nachhaltig, überlegt und ausgewogen anzugehen, versucht das Ministerium, noch vor Eintreten des anvisierten und noch keineswegs abgeklärten Zustands der "Vollrechtsfähigkeit" ab 2003 im Ruck-zuck-Verfahren dienstrechtlich und personell eine Tabula rasa zu schaffen. Man merkt die Absicht und ist verstimmt, um die zuständige Bundesministerin zu zitieren, die für den bisherigen Zustand der Universitäten allerdings nur bedingt verantwortlich ist. Oder frei mit Qualtinger: Wir wissen nicht, wo wir hinfahren, aber dafür sind wir g'schwinder dort. - Wenn also an den Unis gestreikt wird, geschieht das nicht aus standespolitischem Eigeninteresse, sondern aus tiefer Sorge über die Zukunft der österreichischen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung. Gerhard Botz, Ordinarius für Zeitgeschichte an der Universität Wien, ist Vorsitzender der "Plattform Universität und Demokratie" und war mehrfach Gastprofessor in Stanford, Minneapolis und Paris. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.03.2001)