EU
Schweden fürchtet um den Nachwuchs in der EU
Alternde Gesellschaft Schwerpunkt bei Stockholmer EU-Gipfel - Grafik zur Geburtenentwicklung
Stockholm/Brüssel/Wien - Mit allem Nachdruck macht sich Schweden als derzeitiges EU-Vorsitzland für eine kinder- und
familienfreundlichere Politik in der Europäischen Union stark. Nicht nur, dass der frühere Tennisstar Björn Borg die Europäer in
Zeitungsinseraten unter dem Motto "Fuck for Future" zum Kinderkriegen auffordert, um niedrigen Geburtenraten und drohenden
explodierenden Pensionskosten in allen Mitgliedsstaaten entgegen zu steuern. Das Thema wird nach dem Willen der schwedischen Regierung
auch ein Schwerpunkt auf dem EU-Gipfel in Stockholm am 23. und 24. März sein.
Zwar hat die EU kaum Kompetenzen im Sozialbereich. Aber jährliche Überprüfungen sollen hier die Mitgliedstaaten zu mehr Reformen
anzustacheln. Dazu wurden beim EU-Gipfel in Lissabon im Vorjahr rund 60 "Indikatoren" wie Beschäftigungsrate junger oder älterer
Arbeitnehmer, Kinderkrippen etc. vereinbart.
Niedrige Geburtenraten
Die EU hat nach Schätzungen von Eurostat derzeit rund 377,6 Millionen Einwohner. Die Geburtenraten sind in allen Mitgliedsstaaten niedrig.
Nach Angaben des österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF), das derzeit "Europäische Beobachtungsstelle für nationale
Familienpolitiken" ist, weisen Deutschland, Österreich und Luxemburg seit fast 20 Jahren eine Stagnation auf sehr niedrigem Geburtenniveau
auf.
In Österreich kommen derzeit statistisch 9,7 Lebendgeburten auf 1.000 Einwohner. In Spanien, Italien, Griechenland und Portugal sind die
Geburtenziffern später, aber dafür stärker gesunken. Italienische Frauen haben europaweit die wenigsten Kinder. Auch Dänemark, Finnland
und Schweden verzeichneten in jüngster Vergangenheit einen Rückgang bei den Geburten, ihre Raten zählen trotzdem zu den höchsten in der
Europäischen Union.
Einem aktuellen EU-Expertenbericht zufolge wird sich der Anteil der Menschen über 65 Jahren im Verhältnis zur arbeitsfähigen Bevölkerung
zwischen 20 und 64 Jahren in der Europäischen Union bis 2050 verdoppeln. Derzeit kommen auf 100 Menschen im Erwerbsalter 26,7
Menschen über 65 Jahren. In 50 Jahren werden es 53,4 ältere Menschen sein. In Italien wird der Anteil der älteren Menschen von derzeit
28,8 auf dann 66,8 Prozent drastisch steigen. Spanien muss mit 65,7 Prozent Menschen über 65 Jahren rechnen. Demgegenüber wird der
Anteil in Dänemark, Luxemburg, Irland und den Niederlanden unter 45 Prozent liegen. In Österreich dürften 2050 auf 100 erwerbsfähige
Bürger 55 Personen über 65 Jahren kommen. Derzeit sind es mit 25,1 weniger als die Hälfte dieses Wertes.
Belastung fürs Pensionssystem
Die Pensionskosten in fast allen EU-Ländern werden nach dem EU-Expertenbericht um drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes
steigen. Unter einem positiven Wachstumsszenario von drei Prozent geht der Bericht davon aus, dass in Österreich das Maximum der
Pensionskosten etwa 2030 mit 15,8 Prozent erreicht wird. Österreich hat aber derzeit schon mit 14,5 des BIP die im Verhältnis höchsten
Pensionskosten. Spanien und die Niederlande müssen mit gut sechs Prozentpunkten des BIP mit dem stärksten Anstieg rechnen. Schweden
kann mit gleichbleibenden Kosten rechnen, während Großbritannien dank starker privater Pensionsvorsorge sogar mit einem sinkenden Anteil
der Pensionsausgaben am BIP von derzeit 5,1 Prozent auf 3,4 im Jahr 2050 rechnen kann.
Der Bevölkerungswissenschafter Rainer Münz fordert die EU-Verantwortlichen angesichts dieser Entwicklungen auf, "mit offenen Karten zu
spielen" und "in der Bevölkerung um Verständnis für politische Maßnahmen zu werben". Um eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit zur
Sicherung der Pensionssysteme komme man nicht herum, sagte Münz gegenüber der APA. Dem Mangel an Facharbeitskräften sei dagegen
am besten mit einer "Mischung aus mehr Zuwanderung und einer besseren Ausschöpfung des Arbeitspotenzials" zu begegnen. So sei der
Frauenerwerbsanteil in Schweden deutlich höher als in Österreich, sagte Münz. Er führt dies unter anderem auf die umfassenderen
Kinderbetreuungseinrichtungen in dem skandinavischen Land zurück. (APA)