Wien - Die Auswertung der Funde und Befundungen der seit März 2000 laufenden archäologischen Grabungen im Wiener Stephansdom werden wohl noch einige Jahre dauern, das Ergebnis der Grabungen ist jedoch so reich und überraschend, dass bereits jetzt die Baugeschichte von St. Stephan und auch die Frühgeschichte Wiens und die Stadtentwicklung am Beginn des Hochmittelalters neu geschrieben werden kann. Nach den ersten Erkenntnissen der archäologischen Untersuchungen, die am Donnerstag bei einem Pressegespräch den Archäologen des Bundesdankmalamtes und Dombaumeister Wolfgang Zehetner vorgestellt wurden, ist der 850. Geburtstag des Steffl 1997 mit reichlicher Verspätung gefeiert worden: Gut über 1000 Jahre wären es in Wahrheit gewesen. Je mehr die Archäologen in die Tiefe gegangen sind, um so ältere Bauphasen sind entdeckt worden. Neben den bekannten drei verschiedenen Bauphasen der Gotik wurden nun, wie Grabungsleiter Johann Offenberger berichtete, drei romanische Vorgängerbauten entdeckt. Die Fundamente eines Turms, auf den man zuletzt gestoßen ist, lassen den Schluss zu, dass bereits im 10./11. Jahrhundert hier eine Kirchenburg der Passauer Bischöfe errichtet wurde. Denn die mittlerweile bekannten sechs Kirchen wurden ja nicht abgerissen und neu gebaut, sondern entstanden in laufenden Umbauten und Erweiterungen, erklärt Offenberger. Gelegenheit, einen ersten und letzten Blick in den Boden zu tun, bot sich für die Archäologie wiederum durch die aktuellen Umbauten. Für den Einbau einer Warmluftheizung wurde es nämlich nötig, den Boden an fünf Stellen tief aufzugraben. Für die Archäologen bot dies Gelegenheit durch fünf "Fenster" in die Geschichte von St. Stephan zu blicken, wobei das Denkmalamt darauf zu achten hatte, dass die für die Heizung neu zu schaffenden Betonbecken an Stellen gelegt werden, wo von der historischen Substanz möglichst wenig zerstört werde. Und doch wurden in den fünf geschaffenen Öffnungen so reichhaltige Entdeckungen gemacht, dass die Grabungen, die man zu Jahresbeginn abschließen wollten, wohl noch bis über Ostern dauern werden. Neben einem spätantiken Gräberbezirk mit Umfassungsmauer, der noch mit der römischen Besiedlung Vindobonas in Zusammenhang steht, konnte auch ein Friedhof für das neunte Jahrhundert nachgewiesen werden. Zur Nachschau, ob zum Friedhof auch entsprechende Kultbauten gehören, waren die "Fenster" aber nicht groß genug. Die Annahme aber, dass nach dem Rückzug der Römer bis zum Mautener Tauschvertrag von 1137, (mit dem der Baubeginn für St. Stephan in Verbindung gebracht wird) "hier nichts war, muss gründlich revidiert werden" meint der Dombaumeister. "Jetzt gehen wir von mindestens drei bis vier Vorgängerbauten aus". Erstaunlich auch sind die unendlich vielen Bestattungen, wobei die abertausenden Toten in engsten Schichten dicht an dicht übereinanderliegen. Auffallend ist auch die große Zahl der im Dom bestatteten Kinder. "Es gibt dazu nichts Vergleichbares in Österreich". Die Menschen wurden mit reichem Schmuck bestattet, der sich bis ins Barock zu einem "ungeheuren Luxus" entwickelte. Die dichten Lagen der Bestattungen - derzeit arbeitet man an der sechsten Lage - sind ein weiterer Grund, dass sich die Ausgrabungen immer wieder verzögern. Ergebnisse der Grabungen werden ab 1. April bis 1. November in der Ausstellung "Fundort Kloster" in einer eigenen Abteilung "Fundort Stephansdom" im Stift Altenburg gezeigt. (APA)