Alles Leute, die lieber Kunst kaufen als dass sie sich neue Nasen, Busen, Lippen oder eine Fettabsaugung leisten (und wenn schon, dann beides): Diesen erfreulichen Eindruck gewann man zumindest auf der TEFAF (The European Fine Art Fair) in Maastricht, einer der weltweit bedeutendsten Kunst- und Antiquitätenmessen, die an diesem Sonntag ins Finale geht. Im Gegensatz zu US-Veranstaltungen wandelte die - immer zahlreicher erscheinende und mitunter schon Verkaufsabschlüsse behindernde - Besucherschaft weitgehend naturbelassen im feinen Tuch, mit Kennerblick und mit praller Geldtasche. Wenn Prestige, dann doch lieber mit Picasso, Warhol, Polke, Gerhard Richter und Leger. Künstler, die der Kulturtheoretiker Boris Groys in ihrer Qualität schätzt, wie er kürzlich bei einem Vortrag in Wien erklärte, die er aber wegen der ständigen Präsenz "nicht mehr sehen kann". So beklagt sich auch der Protagonist in Thomas Bernhards Roman Alten Meister, dass ihm die großen Meister "verleidet wurden." Viele Privatsammler trumpfen aber mit diesen neuen alten Meistern auf. Was hilft es in manchen Kreisen, wenn niemand Moholy-Nagy kennt? Da kann dessen Plexiglas-Konstruktionsknäuel (Ribbon Sculpture) so hypermodern aussehen wie nur. Aber wir tun der Sache unrecht, nicht nur Prestige-Sammler gibt es, und sie werden sich für die bei Annely Juda ausgestellte Skulptur erweichen. Trotz der wachsenden Anzahl an 20. Jahrhundert-Galerien gehören die Alten Meister seit der Gründung der TEFAF vor 12 Jahren verdientermaßen zu den absolute Aushängeschildern der Messe. Viele Kojen mit jüngerer Kunst könnten 1:1 auf der Art Basel stehen. Auch van Doesburg ist ein Klassiker (bei Von Bartha/Basel) oder de Chirico (bei Waddington). Wobei der Verkauf eines Gemäldes aus den 60er Jahren verwundert, da der Künstler in den 30ern die selben Sujets schon ziemlich gut beherrschte. Gmurzynska/Köln war immer schon da gewesen, heuer u.a. mit Fotografien des großen Rodtschenko. Die boomende Fotografie sieht man sonst kaum auf der TEFAF. Vielleicht will man sich doch etwas abgrenzen, bevor Messen zu all-inclusive-Veranstaltungen mit Beliebigkeitscharackter werden. Im Gegensatz zur Pariser Biennale, der einzigen vergleichbaren Veranstaltung in Europa, legen die 197 Aussteller tendenziell mehr Wert auf Spezialisierung und reine Warenpräsentation. Dennoch lässt sich auch in Maastricht die leichte Tendenz zur barocken Interieurgestaltung, in schlimmeren Fällen zum Kitsch festmachen, zumindest bei der Sektion "Objet's d'Art". Etwas, das nicht nur durch die vermehrte Präsenz von italienischen Händlern verstärkt wird. Italien und Frankreich, auch ein Einzugsgebiet der - wegen mangelndem Erfolg - eingestellten TEFAF Basel, will man anscheinend dadurch in Maastricht "festmachen". Top-Händler mit modernem, schlichten Stil wie die Chinamöbel-Fachfrau Grace Wu Bruce wanderten ab zur Asian Art Fair nach New York. Da freut es, dass zwischen obskuren Kraken-Glaslampen auch einmal ein seltener Van de Velde-Spieltisch auftaucht, mit vier in die Messingplatte eingelassenen Fächer (bei Otto von Mitzlaff um 680.000 deutsche Mark) Klassiker in jeder Hinsicht sind, wie gesagt, die Alten Meister, die natürlich dem Rest etwas die Show stehlen. In einem fast aberwitzigen Stillleben mit Blumenarrangements, roter Kordel und Wachmann blickte der Star der Messe, eine 62-jährige, von Rembrandt gemalte Frau aufs staunende Publikum. Dieses bei Lokalmatador Noortman ausgestellte Bild kann sich fast nur ein Museum leisten: 80 Millionen Dollar! Vertreter von bedeutenden Sammlungen, etwa Louvre oder Metropolitan Museum, gaben sich die Klinge in die Hand - wenn es Klinken gegeben hätte. Andrea del Sartos Madonna mit Kind und dem Johannesknaben bei Whitfield konnte fast mehr als Rembrandt. Die Wiener Galerie Sanct Lucas verkaufte gleich zu Beginn der Messe eine romantisch angehauchte, in jedem Detail perfekte Landschaft mit Windmühle und Mondlicht von Aert van der Neer sowie ein von sizilianischem Licht durchdrungenes Waldmüller-Bild des griechischen Theaters von Taormina. Thomas Enders hervorragendes Gletscherbild liegt fast zu gut versteckt im Allerheiligsten hinter einer Tür. Von einem großen Künstler und "Ketzer", Alessandro Magnasco, stellte Derek Johns/London zwei von vier Herkules-Szenen aus, die im Gesamten 1,7 Millionen Schilling kosteten - geradezu ein "Schnäppchen" angesichts der übrigen Preise... Die zweiten österreichischen Aussteller, Salix & Vertes, brachten u.a. ein Corinth-Aquarell an den Mann. Bei Thomas/München traf man auf ein bekanntes, in der Galerie von Wienerroither und Kohlbacher zuletzt ausgestelltes Kokoschka-Ölbild des jungen Carlo Ponti. Ein Österreicher stach verkaufsmäßig viele aus, nämlich Egon Schiele. Messeneuling Nagy aus London, Schiele- und Klimtexperte, setzte an den ersten beiden Messetagen gleich sieben seiner hervorragenden Schiele-Zeichnungen ab, die er zwischen 80.000 Dollar und über eine Million Dollar (derzeit rund 15 Mio öS) taxierte. Vor der Koje rief ein kauernder Obdachloser, durch eine Decke unkenntlich gemacht, Naserümpfen und/oder Verwunderung aus. Dabei war es Maurizio Cattelans Sandlerpuppe, die bei den letzten Contemporary-Auktionen von Christie's versteigert wurde. Der damalige Käufer, der eleganterweise ungenannt bleiben will, stiftet den Erlös an Obdachlosen-Organisationen. Lang lebe das uneigennützige Gute im Menschen! Eine Klasse für sich waren das Modigliani-Doppelportrait bei Landau, wobei die Provenienz Museum of Modern Art dessen Preis auf 11,5 Mio Dollar trieb sowie Gustave Moreau bei French & Company (1,5 Mio Dollar). Das jüngste Exponat stammte aus 2000: Olafur Eliassons Islandreise-Foto (rund 50.000 öS), ein bei Van Bartha präsentiertes Unikat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18. 3. 2001)