Sie wehren sich auf juristischer und organisatorischer Ebene gegen die vielfältigen Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind.
Viele Frauen in Togo besitzen keine Personaldokumente - zu viele. Denn das bedeutet, dass sie weder ein Familienbuch haben noch Personalausweis oder Geburtsurkunde und folglich weder rechtlichen Schutz genießen noch ihre staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen können. Dabei ist in der Verfassung des Landes theoretisch die Gleichstellung von Mann und Frau verankert. Aber es ist eben ein weiter Weg von einem Gesetzestext bis zu seiner Umsetzung. Also werden Frauen und Mädchen weiterhin zwangsverheiratet, rechtswidrig geschieden oder verstoßen, Väter zahlen ihren Familien nach wie vor kein Unterhaltsgeld, es kommt immer noch zu illegalen oder heimlichen Eheschließungen nach dem Gewohnheitsrecht, und weibliche Geschlechtsorgane werden auch weiterhin verstümmelt. Die 1992 gegründete "Reflexions- und Aktionsgruppe Frauen, Demokratie und Entwicklung" (Groupe de réflexion et d'action femmes, démocratie et développement; GF2D) beschloss damals infolge einer Studie über die Lage der Togoerinnen, sich für die praktische Anwendung der gesetzlich festgeschriebenen Rechte einzusetzen. Die Gruppe versteht das als Beitrag zur Entwicklung des Landes. (...) In vielerlei Hinsicht benachteiligt Die Frauen in Togo, deren durchschnittliche Lebenserwartung 50 Jahre beträgt (die der Männer liegt bei 48 Jahren), sind nicht nur besonders arm, sie werden auch in vielen anderen Hinsichten benachteiligt. Eine Beamtin erklärt: "Es ist schwer für die Frauen in Togo, der Armut zu entkommen. Außerdem sind sie oft der Gewalt des Ehemanns oder der Schwiegereltern ausgesetzt oder gewalttätigen Traditionen wie beispielsweise dem Witwenritual. Frauen haben nur Pflichten. Sie müssen den Mund halten, fügsam sein und haben keinerlei Rechte. Gewissen Bräuchen zufolge dürfen Frauen kein Land erben, mit der fadenscheinigen Begründung, dass, wenn eine Witwe wieder heiratet, die Familie des Verstorbenen den Landbesitz dann an Fremde verlieren würde. Die Leute befürchten immer, Frauen könnten sich etwas nehmen, was ihnen nicht gehört, und es dann an Dritte weitergeben. Was die Witwenrente anbelangt, so gilt es gemeinhin immer noch als Sache des Onkels, die Erbfolge zu regeln, und die Frau geht leer aus." (...) Seit 1994 entsendet die GF2D deshalb 300 Laienjuristinnen in Städte und ländliche Gebiete, die den Inhalt der Gesetze allgemein verständlich erklären und kostenlose Rechtsberatung anbieten. Sie überzeugen die Frauen davon, sich und ihre Kinder ins Zivilregister eintragen zu lassen, und erklären ihnen, dass eine standesamtliche Heirat Schutz vor der Verstoßung bietet. Sie arbeiten unentgeltlich, ihre Aufgabe ist es zuzuhören, zu beraten und Gesetzestexte in die Umgangssprache zu übertragen. Zu diesem Zweck verfügen sie über ein "Juristisches Handbuch für die togoische Frau", dessen zweite Auflage die GF2D unlängst herausgegeben hat. Nach einer theoretischen Grundausbildung und den ersten sechs Monaten Einsatz im Lande kommen sie noch einmal zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und Erfolge festzuhalten. Im Zuge dieser Auswertung können vor allem die spezifischen Probleme der Frauen in ländlichen Gebieten besser erkannt und berücksichtigt werden. Anwerbung als Laienjuristin "Unsere Laienjuristinnen kommen aus allen möglichen Berufen: Es sind Bäuerinnen darunter, Friseurinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, Hebammen und Krankenschwestern, Geschäftsfrauen, Hausfrauen und auch Nonnen." Auch bei der Anwerbung werden Frauen aus den verschiedensten Bereichen angesprochen: Sie kommen aus Nichtregierungsorganisationen, Frauengruppen, Gewerkschaften oder kirchlichen Gruppen. Die Kandidatinnen müssen zwar Französisch lesen und schreiben können, das sowohl Ausbildungs- als auch offizielle Amtssprache ist, doch bei der Arbeit selbst sprechen sie dann ihre jeweiligen Landessprachen. Dieses Auswahlverfahren stellt sicher, dass die Frauen ihr neu erworbenes Wissen über die Rechte der Frauen möglichst reibungslos weitergeben können, ohne dass es mit ihren Gesprächspartnerinnen zu Konflikten kommt: "Sie haben innerhalb ihrer Gemeinschaften einen sehr guten Ruf, weshalb sie in vielen Ehe- und Erbfolgekonflikten gut als Schlichterinnen auftreten können." In der Öffentlichkeit ist es alles andere als gern gesehen, wenn eine Frau etwas unternimmt, um ihren Ehemann vor Gericht zu bringen: Der Betreffenden wird sofort unterstellt, dass sie ihrem Gatten nach dem Leben trachtet. Diese Frauen sind also nicht nur der Parteilichkeit von meist männlichen Richtern ausgesetzt, die nur ungern zu ihren Gunsten entscheiden, sondern sie werden auch noch gesellschaftlich geächtet. Deshalb wagen es die Frauen kaum, vor Gericht zu ziehen. Als Analphabetinnen verstehen sie die Funktionsweise der Justiz häufig nicht und haben Angst davor. Die Laienjuristinnen dagegen genießen sowohl bei den offiziellen Behörden als auch bei den traditionellen Autoritäten ein hohes Ansehen: "Manche Chiefs fragen sie um Rat, bevor sie Recht sprechen." Als juristische "Generalistinnen" sind sie auch im Kampf gegen "Gewalt gegen Frauen, verfrühte und erzwungene Eheschließungen und den Frauentausch" aktiv. Was die Gewalt gegen Frauen anbelangt, so werden genitale Verstümmelungen in Togo weiterhin praktiziert, obwohl sie mittlerweile gesetzlich verboten sind. Hierzu werden Zahlen genannt: "Nach unserer Schätzung sind zwölf Prozent aller Frauen beschnitten. Das sind bei 4,3 Millionen Einwohnern eine ganze Menge." Reformen gefordert Obwohl es sich durchaus als klug erweist, die geltenden Gesetze als Waffe einzusetzen, fordert die GF2D noch einige Reformen. Denn nach wie vor darf ein Ehemann seiner Frau verbieten, einen Beruf auszuüben. Auch bleibt das Erbrecht bislang noch dem Gewohnheitsrecht unterworfen. Die Frauen aber wollen erreichen, dass aus den Gesetzen eine integrative Kraft erwächst. Nach der Auffassung des Sozial- und Frauenministeriums hat die Integration der Gesellschaft auch für die togoische Regierung oberste Priorität: "Die Alphabetisierung der weiblichen Bevölkerung und ihre berufliche Ausbildung ist unserer Ansicht nach das Herzstück jeglichen Fortschritts. Seit der Schulreform ist der Schulbesuch für alle Kinder verpflichtend. Die Regierung hat ein 'affirmative action'-Programm auf den Weg gebracht, das Mädchen aus armen und unterprivilegierten Verhältnissen beim Schulgeld unter die Arme greift. Diese Maßnahme des Ministerrats ist für alle und jeden nachvollziehbar." Gemischte Reaktionen Die Politik der "affirmative action" sollte in der gesamten Subregion Schule machen. Doch ruft die fortschrittliche Maßnahme bisher gemischte Reaktionen hervor: Sie wird zwar nicht offen kritisiert, aber es werden Zweifel laut über die effektivsten Mittel, sie in die Praxis umzusetzen. Frauen sind in Führungspositionen immer noch stark unterrepräsentiert: "Das gilt auf der Ebene der Dörfer genauso wie in der großen Politik. Es gibt zwar allmählich Fortschritte. Aber generell sollten viel mehr Frauen an Entscheidungen beteiligt werden, die sie nicht nur als Frauen betreffen, sondern auch als Mitglieder der togoischen Gesellschaft. Da haben Frauen ja einiges beizutragen." Im derzeitigen Parlament sind gerade einmal fünf von insgesamt 81 Abgeordneten Frauen, in der vorherigen Legislaturperiode gab es nur eine einzige weibliche Abgeordnete. Jenseits der Auseinandersetzungen auf der juristischen Ebene sehen sich die Togoerinnen auch gezwungen, einer Mentalität entgegenzutreten, die sie als minderwertige Wesen einstuft. Sie müssen also an verschiedenen Fronten gleichzeitig kämpfen, müssen Frauenrechte im Alltag durchsetzen, die bisherigen Errungenschaften öffentlich bekannt machen, sich für die Verabschiedung neuer Gesetze einsetzen und althergebrachte Denkweisen infrage stellen. Deshalb fällt das Fazit der GF2D in dem Weißbuch, in dem ihre Forderungen zusammengefasst sind, eher bitter aus. Auf dem großen Markt von Lomé sagt eine Händlerin, halb zuversichtlich, halb fatalistisch: "Es wird schon werden. Wir hoffen eben, dass wir in zehn Jahren nicht mehr unter diesen Bedingungen leben müssen. Es werden vielleicht viele von uns sterben, bevor wir so weit sind. Aber wir müssen durchhalten." (Deutsch von Miriam Lang, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.03.2001)