Geschlechterpolitik
"Wir werden als erste gefeuert und als letzte eingestellt"
EU-Osterweiterung: Chancen und Risiken für Frauen
Frauen aus Mittel- und Osteuropa machen sich fit für den
EU-Beitritt ihres Landes. Ein
schwieriges Unterfangen,
denn seit dem Zusammenbruch des kommunistischen
Systems haben sie mit großen
Problemen zu kämpfen: In der Europäischen
Union sehen sie ihre große
Chance. Dennoch hoffen sie
nicht auf ein "EU-Wunder".
Das wurde auf einer zweitägigen Frauen-Konferenz zum
Thema "Die EU-Ostererweiterung- Empowerment oder
Marginalisierung?" im Wiener
Don Bosco Haus deutlich, auf
der 32 Frauen auf Einladung
des europäischen Frauen-Netzwerks WIDE ihre Situation darstellten.
Wien - "Unser Markt ist seit
1989 weit für ausländisches
Kapital und Produkte geöffnet. Die EU hat bereits jede Menge
Gewinn aus dem Transformationsprozess gezogen. Es wird
Zeit, dass wir Geld zurück bekommen", fordert die Polin
Kinga Lohmann im STANDARD-Gespräch. Sie erhofft
sich vom EU-Beitritt außerdem Hilfe bei der gesetzlichen
Verankerung der Gleichberechtigung und deren Umsetzung.
Kirche als Problem
Als zentrales Problem sieht
sie die große Macht der katholischen Kirche in ihrem Land,
das zur ersten Gruppe der Beitrittskandidaten zählt. "Die offizielle Politik propagiert, dass
der Platz der Frau in der Familie und hinter dem Herd
ist", ärgert sich die Gründerin
von KARAT, einem Netzwerk
osteuropäischer Fraueninitiativen. Dabei seien die polnischen Frauen weit besser ausgebildet als die Männer: 43
Prozent der Frauen genossen
eine hohe oder akademische
Ausbildung, der Anteil bei den Männern liegt lediglich
bei 25 Prozent.
Wendeopfer Frau
Mit dem Beginn der wirtschaftlichen Transformation
haben die Arbeitsmärkte in
Osteuropa einen starken Einbruch erlitten. Bis 1989 spielten polnische Frauen eine aktive und stabile Rolle im Erwerbsleben des einstigen
Vollbeschäftigungslandes.
Das habe sich nach der Wende
dramatisch verändert: Die
sinkende Fürsorge des Staates
für die Kinderbetreuung habe
die beruflichen Möglichkeiten
für Frauen verschlechtert.
"Wir werden als erste gefeuert
und als letzte eingestellt", beschwert sich Lohmann. Für
gleichwertige Arbeit verdienten Frauen, je nach Branche,
zwischen 6, 5 und 35 Prozent
weniger als Männer.
Arbeitslosigkeit ist weiblich
Zudem stellten die Frauen
mit 57,7 Prozent mehr als die
Hälfte der polnischen Arbeitslosen, von denen wiederum die Hälfte langzeitarbeitslos und ein Drittel jünger
als 24 Jahre alt seien. "Viele
Frauen haben nicht den Mut,
eigene Firmen zu gründen
und sie werden nicht ausreichend über diese Möglichkeit
informiert", findet Lohmann.
Westliches Denken lernen
Immer mehr Menschen lebten unter der Armutsgrenze,
besonders schlimm treffe es
die Menschen in ländlichen
Gegenden: Etwa 60 Prozent
der Familien seien dort von
der Armut betroffen. "Wir
Frauen sind verwirrt und wissen nicht, wo unser Platz in
der Gesellschaft ist. Für uns ist
nicht nur wichtig Information
zu bekommen, sondern auch
die westliche Art des Denkens
zu lernen", betont sie.
Mehr Selbstmorde
Die Situation auf dem russischen Arbeitsmarkt sieht
ähnlich aus. Aber auch die
Männer haben dort zu kämpfen. Sie stehen unter dem dem
wachsenden Druck, nun die
alleinigen Erhalter der Familie
zu sein. "Die Selbstmordrate
ist in den Reformjahren um 20
Prozent gestiegen, weil viele
Männer an dieser Anforderungen zerbrachen", sagt die
Russin Marina Malysheva im
STANDARD-Gespräch. Die
Lebenserwartung der Männer
liege derzeit bei 57 Jahren, die
Zahl der Witwen steige dramatisch. Sie zählen in Russland
neben Rentnern und alleinerziehenden Müttern zu den
ärmsten Bevölkerungsschichten.
In den Fängen der Frauenhändler
Ob dieser Perspektiven wanderten vor allem junge Frauen
auf der Suche nach besseren
Jobs aus und gerieten nicht
selten in die Fänge von Frauenhändlern. "Das Land ist
noch nicht bereit für den EU-Beitritt und muss noch viele Probleme selbst lösen", sagt
Malysheva. Eine Verbesserung der Situation von Frauen
erhofft sie sich durch die Arbeit von mehr als 1000 Fraueninitativen, von denen 16 auf
internationaler Ebene tätig
sind.
Die Rumänin Mihaela Râbu
erwartet von der EU Unterstützung beim Ausbau der Infrastruktur und des Wirtschaftssystems, aber auch im
Bereich der Gesetzgebung.
Rumänien habe auch etwas zu
bieten: "Junge und gut ausgebildete Arbeitskräfte."
Lilian Hofmeister vom Handelsgericht Wien fürchtet,
dass es nach der Osterweiterung zwischen allen Frauen
zu einem Konkurrenzkampf
um die schlechtestbezahlten
Arbeitsplätze kommen könnte. Um ihre Situation nachhaltig zu verbessern, müssen
Frauen nach Ansicht von Organisatorin Brita Neuhold sich
immer weiter vernetzen und
den Erfahrungsaustausch intensivieren.