Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Festivalgäste, liebe Filmschaffende, liebe Freunde und Freundinnen der DIAGONALE! Wir freuen uns, Sie hier im Grazer Opernhaus zur Eröffnung des „Festival des österreichischen Films“ begrüßen zu dürfen. Zum vierten Mal findet die DIAGONALE nun in Graz statt. Eine ganze Woche lang gibt es wieder die Gelegenheit, das gesamte Spektrum der heimischen Filmproduktion zu entdecken, vom Kinofilm bis zu einer Auswahl der besten Animations-, Avantgarde- und Kurzfilme bzw. Videos des Jahres. Die Verlängerung des Festivals um einen Tag, die im letzten Jahr angesichts des Publikumsandrangs und eines stetig wachsenden Filmangebots notwendig wurde, hat sich bewährt und das dichte Festivalprogramm für viele noch zugänglicher gemacht. In diesem Jahr wurde eine neue Rekordzahl erreicht, mit mehr als 500 eingereichten Filmtiteln, von denen wir 119 Arbeiten im Hauptprogramm zeigen. Es scheint angesichts dieser Zahlen auf den ersten Blick paradox, von einem „schwierigen Jahr für den österreichischen Film“ zu sprechen. Aber: Der Fülle und Vielfalt der heimischen Filmproduktion zum Trotz, ist die Entwicklung des österreichischen Films beträchtlich ins Stocken geraten. Es sind nicht nur die dramatischen Subventionskürzungen des letzten Jahres auf Bundesseite – und die Aussicht, daß sich dies in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Und es ist nicht nur die Politik der unüberlegten Maßnahmen, die es unterläßt, Interessenvertretungen angemessen einzubeziehen und damit fragwürdige Entscheidungen trifft. Die Signale an die Filmschaffenden scheinen seit geraumer Zeit eine deutliche Sprache zu sprechen: Hier die Absetzung eines Abteilungsleiters, der sich seit Jahren mit Erfolg für den innovativen Film eingesetzt hat; dort die pauschale Aufforderung an den heimischen Film, wirtschaftlicher zu denken, während gleichzeitig die längst überfällige Budgetaufstockung und die Schaffung steuerlicher Anreize zur Investitionssteigerung in der Filmwirtschaft wieder nicht in Angriff genommen wurde. Das Interesse an einer florierenden österreichischen Filmbranche und an der Entwicklung der künstlerischen Vielfalt dieses Landes scheint verloren gegangen zu sein. Dies führt gerade in einem Bereich, der darauf angelegt ist, Grenzen zu überschreiten, zu massiven Beschränkungen und schwer wiedergutzumachenden Nachteilen. An die Seite der internationalen Isolation, die dem Land von den politischen Entscheidungen des letzten Jahres beschert wurde, tritt die ökonomische und kulturelle Isolation, wenn die Entwicklung des Medienstandortes Österreich und die Unterstützung der hiesigen Kunstschaffenden durch Sparbudgets und Desinteresse eingeschränkt wird. Aber auch andere Entwicklungen im Land lassen wenig Optimismus zu: Die Verkümmerung der demokratischen Öffentlichkeit in Österreich, die zu einem Stehsatz geworden ist, hat neue Aspekte erhalten. Neben der massiven Tendenz zu einer weiteren Monopolisierung im Bereich der Printmedien und dem drohenden Verlust eines funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks meldet sich der „Sonderfall Österreich“ beinahe täglich zu Wort: Wie kann ein österreichischer Landeshauptmann den Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde ungestraft öffentlich beleidigen, ohne daß diese Öffentlichkeit genügend Druck zum Rücktritt dieses Landeshauptmanns entwickelt? Was dies alles mit dem österreichischen Film und mit der DIAGONALE zu tun hat? Das Kino, wenn wir es ernst nehmen wollen, kann ein Ort der politischen Auseinandersetzung sein. Ein Ort, an dem Ideologien sich nicht nur festigen, sondern auch aufgebrochen werden können – durch das Abwägen von Haltungen und Argumenten oder durch eine erhellende Montage, die aus zwei festen Bildern ein neues, drittes Bild schafft. Dies wäre das Gegenteil jener zwanghaften Phantasmen, Ressentiments und gedankenlosen Reflexe, die derzeit das gesellschaftpolitische Klima in Österreich kennzeichnen. Angesichts solch verbogener Formen von Öffentlichkeit hat ein Festival wie die DIAGONALE die selbstverständliche Verpflichtung, Gegenöffentlichkeit zu schaffen: einen Ort, wo andere Bilder gezeigt werden, wo neue Sichtweisen entstehen können. Mehr als sonst prägt deshalb die Frage nach einem gesellschaftspolitisch relevanten Kino die diesjährige DIAGONALE. Wo findet sich Gegenwärtiges in Bildern und Tönen wieder, wie läßt sich Realität als filmische Realität verdichten – dieser Frage spüren zahlreiche Programme nach. Dem Zusammenhang von Film, Geschichte und Politik haben wir einen eigenen Schwerpunkt gewidmet, der ebenso historische Arbeiten wie aktuelle filmische Stellungnahmen umfaßt. Zum Beispiel eine Reihe von Dokumentarfilmen gegen den Faschismus, die in den 30er und 40er Jahren von Filmschaffenden im Exil unter schwierigsten Bedingungen realisiert wurden. Oder Filme des Regisseurs und Kameramanns Gustav Ucicky, der den Weg der karrierefördernden Anpassung wählte und sich von den 30er bis in die 60er Jahre im Einverständnis mit seiner Zeit sah. Beide Beispiele widersprechen einer engen, nationalistischen Definition des „österreichischen Films“: die Widerstandsfilme wurden im Ausland, von emigrierten Österreichern mitgestaltet; und viele von Ucickys Filmen, besonders seine nationalsozialitischen Propagandaarbeiten, entstanden in einer Zeit, als die Nation Österreich nicht existierte. Aktuelle Beispiele zu diesem Schwerpunkt haben wir oftmals abseits der etablierten Filmszene gefunden; Arbeiten, die in direkter Form in politische Prozesse eingreifen wollen wie das Programm „Die Kunst der Stunde ist Widerstand“, das auch heuer fortgesetzt wird. Wichtiger noch als das politische Signal dieser auch international vielgezeigten Reihe erscheint uns weiterhin ihre implizite Aufforderung an die Filmschaffenden, zu überprüfen, wie sehr ihr Kino zeitgemäßen Reflexionsformen entspricht. Wenn in diesen Tagen über Bildungspolitik gesprochen wird, so müßte auch über die zentrale Bedeutung der audiovisuellen Bildung gesprochen werden; über die mangelhafte Vermittlung dessen, was Bilder und Töne bedeuten können. Film ist eine spezifische, kulturhistorisch relativ neue und immer wichtigere Form des Denkens. Eine Form des Denkens, die neue, eigenständige Begriffe und Erkenntnisse hervorgebracht hat. Dieses Denken in seinem ganzen Reichtum praktizieren und in seinen weitreichenden Wirkungen verstehen zu können, bedarf einer gewissen Übung – das heißt Bildung. Wie wäre es also, wenn man die Förderung von Film und Filmkultur einmal nicht unter dem Aspekt der touristischen Verwertbarkeit oder der kulturellen Imagepflege betrachtet? Sondern als Teil einer echten Allgemeinbildungsoffensive für die Mediengesellschaft. In diesem Sinne, als umfassende Vermittlungsinstanz verstehen wir auch die DIAGONALE, als einen Beitrag zur Ausbildung von Kommunikationsfähigkeit. Einen solchen Beitrag wird mit Sicherheit auch der Eröffnungsredner der diesjährigen DIAGONALE leisten – wir übergeben das Wort an Paulus Hochgatterer. Bevor wir im Programm weitergehen, möchten wir uns bei den Förderern und Sponsoren der DIAGONALE bedanken, ohne die das Festival in dieser Form – als unabhängiges Forum für den österreichischen Film – nicht stattfinden könnte. Allen voran gilt unser Dank der Unterstützung durch unsere Hauptförderer: der Kunstsektion des Bundeskanzlermats dem Österreichischen Filminstitut der Stadt Graz, Kultur dem Land Steiermark, Kultur und Graz Tourismus. unseren Kooperationspartnern und Mitveranstaltern dieses Abends der Kleinen Zeitung dem ORF Steiermark unseren Hauptsponsoren der Wiener Städtischen Versicherung und der Energie Steiermark Holding und dem Telekom- Exklusivsponsor A1 den Festivalhotels Hotel Erzherzog Johann Romantik Parkhotel und Hotel Weitzer Die Substanz eines Filmfestivals bilden naturgemäß die gezeigten Filme – an dieser Stelle ein Dankeschön an alle Filmschaffenden und allen, die mitgewirkt haben am diesjährigen Programm - und natürlich an das gesamte DIAGONALE-Team. Das Territorium des österreichischen Films ist ein internationales - und wem die Floskel von der österreichischen „Kulturnation zu wenig ist, wer lieber von den neuen Ideen und Bildern, die Künstler und Künstlerinnen aus Österreich herstellen, spricht, der ist auf diesem Terrain zu Hause. Warum also Mozartkugeln an europäische Partner verschenken, wenn es doch viel zielführender ist, gemeinsam Filme zu produzieren? Vielleicht sogar Filme über falsche Grenzen und gerechtfertigte Grenzübertritte? Ein Festival darf allerdings nicht nur Fragen stellen, es muß auch versuchen, Antworten zu geben. Eine Antwort in der Form eines magischen Kristalls hat Edgar Honetschläger gegeben, der den diesjährigen DIAGONALE-Trailer gestaltet hat. „Isola farnese“, den Sie gleich sehen werden, bildet sozusagen den Prolog des Festivals. Und eine andere, besondere Antwort, die, so hoffen wir, sehr viele neue Fragen aufwerfen möge, ist der diesjährige Eröffnungsfilm der DIAGONALE, dessen Titel auch programmatisch für die Zukunft des heimischen Films gelesen werden kann: Code inconnu – Code unbekannt! Wir möchten uns an dieser Stelle beim Filmverleih filmladen bedanken, der uns diese Österreichische Erstaufführung hier in Graz ermöglicht hat. Begrüßen Sie mit uns herzlich: Den Regisseur des Films, der für die DIAGONALE aus Paris nach Graz gekommen ist: Michael Haneke!