Wien - Von Beginn der Sondersitzung des Nationalrates an war klar, dass sich alle Parteien die Gelegenheit zu einer landesweit im Fernsehen übertragenen Wahlkampfveranstaltung nicht entgehen lassen würden. Selten wurde der polemische Untergriff anstelle des sachlichen Arguments so nachdrücklich eingesetzt, der in persönliche Beleidigungen umkippenden Gehässigkeit so viel Platz eingeräumt. Das begann im ersten, der Gesundheitspolitik gewidmeten Teil des Plenartages und endete mit der Sicherheitsdebatte. So überschlugen sich bereits im harmlos aktionistischen Beitrag von SP-Chef Alfred Gusenbauer die Emotionen. Er hatte, um seine Forderung nach Rücknahme der Besteuerung von Unfallrenten und Ambulanzgebühren zu untermauern, Sozialminister Herbert Haupt einen Erste-Hilfe-Koffer überreicht. Haupt räumte den Inhalt - die entsprechenden SP-Vorschläge - rasch aus, präsentierte den leeren Koffer und löste damit eine Welle der Heiterkeit bei ÖVP und FPÖ aus. Mancher konnte seine ausufernden Assoziationen gar nicht mehr eindämmen: "Koffer leer, Koffer leer", hallte es durch die Reihen der Koalitionsparteien, und auch die rot-grüne Aufschrift des Kastens sorgte für nahe liegende Anmerkungen. Mit "Pfui"-Rufen gegen ÖVP und FPÖ unterstützte schließlich die SPÖ den Gegenangriff ihres Abgeordneten Rudolf Nürnberger, der in gewerkschaftlicher Rustikalität die Ambulanzgebühren anprangerte. Er holte sich dafür Hilfe beim Wiener VP-Spitzenkandidaten Bernhard Görg, der die Gebühren als "Wahnsinn" bezeichnet hatte. Die Retourkutsche der Regierung fuhr in der Sicherheitsdebatte an, und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer hatte darin dem besten Platz. Sie zeichnete das Bild einer brennenden Republik, für das "die in hohem Ausmaß gewaltbereite linksextreme Szene" zuständig sei. Bei mehr als 230 Demonstrationen seien über 100 Polizisten verletzt worden, klagte Riess-Passer, die Kosten gingen in Hunderte Millionen Schilling: "Ich sehe mit Entsetzen, dass es den Versuch gibt, diesen linken Chaoten ein Mäntelchen der Legitimität umzuhängen." Und an die Adresse der Opposition: "Was ist friedlich an der Zerstörung von FP-Parteizentralen? Was ist friedlich an Plakaten mit der Aufschrift ,Tötet Haider'?" Der Unterschied zwischen "einer funktionierenden Zivilgesellschaft und prügelnden Demonstranten" könne nicht größer sein. "Sie verwechseln dieses Haus mit der Kurhalle Oberlaa", antwortete der Grüne Bundessprecher Alexander Van der Bellen, auf einen bevorzugten Platz blauer Parteiveranstaltungen verweisend. Ihm, Van der Bellen, hätten "auch nicht alle Demonstrationen gefallen". Sie abzuhalten sei allerdings eine freie Entscheidung freier Bürger. Den Satz "Tötet Haider" habe er nicht gesehen, wohl aber ",Tötet Haiders blöde Wortspiele': Das ist etymologisch ein Unterschied." Im folgenden, von den gebetmühlenartig wiederholten Einwürfen Peter Westenthalers unterbrochen Wirbel ("die Wiener wollen Rot-Grün nicht") aus Berichtigungen und Gegenberichtigungen gingen die Anträge von SPÖ und Grünen fast unter, die zur Distanzierung von Antisemitismus und Rassismus aufriefen. ( DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.3.2001)