Der EU-Gipfel in Stockholm hat nicht enttäuscht. Längst wird nämlich von derartigen Treffen nichts mehr erwartet. Die Liberalisierung des Strommarktes wurde verschoben, aus Rücksichtnahme auf Frankreich. Die von der Wirtschaft erhofften Weichenstellungen zu einer neuen, gemeinsamen Politik sind nicht erfolgt. Die heraufdämmernde Rezession wurde schöngeredet. Propaganda statt Taten. Zu Mazedonien gab es freundliche Aufforderungen an die Konfliktparteien, den Krieg doch bitte zu beenden. In der Tierseuchenthematik herrscht Uneinigkeit, gemeinsame und wirklich wirksame Maßnahmen sind kaum zu treffen. Das Europa des 21. Jahrhunderts: Kriege, Seuchen, Armut? Befindet sich der Kontinent auf dem Weg in die Vergangenheit? Ist die Idee der Gemeinsamkeit ausgeträumt? Tatsache ist, dass eine Wirtschaftskrise heute weniger ausgeschlossen werden kann denn je. Die amerikanische Entwicklung ist unzweideutig. Das Dotcom-Fiasko hat längst die Old Economy erreicht. Massenentlassungen sind mittlerweile an der Tagesordnung, und zwar in allen Branchen. Ähnlich wie beim Wetter oder im Kino hat fast jede amerikanische Entwicklung auch Folgen für Europa. Natürlich gibt es Unterschiede, die nicht übersehen werden dürfen: In den USA funktioniert die Wirtschaft nach dem "hire-and-fire"-Prinzip: Um eine neue Geschäftsidee zu realisieren, werden schnell sehr viele Leute angestellt; wenn es dann um die Gewinnzone oder die Gewinnmaximierung geht, werden sie wieder entlassen. Ein solch rasanter Wechsel ist in Europa nicht möglich. Das europäische Arbeitsrecht ist konservativer, die Kultur in den Unternehmen auch. Dennoch: Die europäische Wirtschaft muss, will sie wirklich ein Gegengewicht zu den USA darstellen, dringend harmonisiert werden. Dazu zählt das Steuerrecht ebenso wie andere Rahmengesetze. Der deutsche Industrie-und Handelstag (DIHT) hat sich zu Recht sehr enttäuscht über das Treffen in Stockholm geäußert: Sonntagsreden allein seien wertlos, man erwarte Entscheidungen. Die Einführung des Euro war ein mutiger und richtiger Schritt. Allein: Jetzt muss auch das Umfeld geschaffen werden, um einen Wirtschaftsraum entstehen zu lassen. Es mag ja sein, dass die großen Visionäre wie Helmut Kohl nicht mehr das Tempo bestimmen. Vielleicht ist das aber ganz gut so: Es ist die Stunde der Pragmatiker. Kohl und Mitterand haben sich nie mit Details befasst. Das müssen nun ihre Enkel tun. Dazu wird auch die Frage gehören, wie man mit der Staatsverschuldung umgeht. Analog zu den "Gewinnwarnungen" aus der Wirtschaft revidieren die europäischen Länder ihre Wachstumserwartungen: Frankreich und Italien haben es bereits getan, in Deutschland geht man davon aus, dass Kanzler Schröder nur mit Blick auf die gestrigen Landtagswahlen auf pessimistische Töne verzichtet hat. Die Experten sehen einhellig eine langsamer wachsende Wirtschaft. Europa wird sich hier rechtzeitig Korrekturen überlegen müssen. Die europäische Zentralbank hat sich, als der Euro vor einigen Monaten erstmals richtig in die Krise kam, nicht sehr ruhmreich verhalten. Sie allein kann nicht der Regulator für die Wirtschaft sein. Maastricht wurde in Zeiten der Hochkonjunktur beschlossen. Prinzipiell ist die Reduktion der Staatsverschuldung natürlich richtig. Es müssen jedoch Wege gefunden werden, konjunkturellen Schwankungen so flexibel, effizient und schnell wie möglich zu begegnen. Dafür fehlt noch weitgehend das politische Instrumentarium. Die Entwicklung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik gehört ganz nach oben auf der europäischen Agenda. Eine herbe Materie, gewiss. Aber ganz sicher die entscheidende in den kommenden Monaten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.3.2001)