Eigentlich will Damon Albarn gar nichts mehr sagen. Seit zwei Tagen gibt er Interviews zum Thema Gorillaz. Gorillaz sind eine artifizielle Band. Eine Comics-Band, bestehend aus vier unterbelichteten Figürchen mit so illustren Namen wie 2D, Murdoc, Noodle und Russel. "Diese vier bilden die Band", sagt also Blur-Sänger Albarn, und so lautet seine gängige Antwort auf alle Fragen, die eine überlegte Antwort erfordern würden: "Das kann ich nicht beantworten, ich gehöre ja nicht zur Band." Man solle die Live-Show am Abend anschauen, die würde alle Fragen beantworten. Neben ihm sitzt der Zeichner Jamie Hewlett. Dieser wirkt, als würde er sich gerade auf halber Strecke eines Selbstversuchs mit verbotenen Substanzen befinden. Einst hat er das berühmte Comic Tank Girl erfunden, und aus seiner Feder stammen auch die Gorillaz. Aus ihm ist nicht viel mehr rauszukriegen, als dass die Idee zu den Gorillaz "auf einer Karibikinsel entstanden ist". Nach dieser Kraftanstrengung muss er bis zum Ende des Interviews pausieren. Während man sich nun fragt, ob eigentlich irgendwo geschrieben steht, dass man Popstars keinen Arschtritt verpassen darf, taucht der dritte "hinter" der Comic-Band stehende Akteur auf: Dan Nakamura alias Dan The Automator, ein New Yorker HipHop-Produzent. Dieser stimmt schließlich zu, dass der Versuch von Neudefinitionen im Pop heute meist über Crossover-Versuche stattfindet. Etwas, was man mit Animation um eine Dimension erweitern will, indem man sich selbst hinter Kunstfiguren stellt. Wie er sich nun fühlt, Figuren zu vertreten, die zusammengerechnet etwa einen Intelligenzquotienten von geschätzten elf aufweisen? Das darf man nicht so eng sehen, meint der Automator und entschuldigt sich so gleichzeitig für seine beiden bereits anderswo im Raum beschäftigten Kollegen: "Das ist etwa unser 50. Interview in zwei Tagen. It sucks, you know." Oh ja! Beim Konzert am Abend im Londoner Scala steht die Band dann tatsächlich "hinter" den Figuren. Vor der Bühne des gut mit britischer Popprominenz gefüllten Auditoriums hängt eine Leinwand. Auf diese werden die ziemlich superlässigen Gorillaz-Animationen projiziert, dahinter spielt die Band, manchmal silhouettenhaft durch Gegenlicht erkennbar. Sie setzt ziemlich exakt das namenlose Debüt-Album um. Es handelt sich um Musik, die die Band selbst Dark Pop oder Zombie HipHop nennt: ein Hybrid aus schäbigen Hip- Hop-Beats, die sich mit dem traditionellen Instrumentarium einer Rockband anlegen. Ein Grundmuster, das mit Ausnahme einer hingerotzten Punknummer beibehalten wird und eigentlich melancholisch gefärbt ist: Albarn bläst die Melodica und spielt Gitarre, der Automator besorgt - zumindest auf Platte - den Rhythmus. Dieser definiert sich über Dub-Einfluss und, na ja, TripHop im bestmöglichen Sinn des Wortes. "Weltmusik" nannte Albarn das in einem anderen Interview und bezieht sich dabei offenbar auf den Gastsänger Ibrahim Ferrer. "Albern" könnte man diese Wortmeldung nennen, macht sie doch eigentlich das zunichte, was die Gorillaz schaffen und auszeichnet: nämlich ein durchgängig spannendes, modernes Popalbum ohne Berührungsängste produziert zu haben. Dass man sich im Interview affig gibt, kann man ja immer noch als übertriebene Identifikation der Akteure mit ihren Comic-Pendants entschuldigen - und mit einer Banane runterschlucken. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 3. 2001)