STANDARD: Welche Konsequenzen zieht die ÖVP aus den verlorenen Wahlen in Wien?

 

Strasser: Das war eine Regionalwahl, die aber zumindest klimatisch über Wien hinaus ihren Einfluss hat. Das bedeutet, dass wir, was die Regierungsarbeit betrifft, zu unserer Arbeitsweise im ersten Jahr zurückkehren müssen. Nämlich die Dinge aus dem Regierungsprogramm gut vorbereiten und konsequent umsetzen.

 

STANDARD: Sehen Sie im Ergebnis der Wiener Wahl auch eine Absage an die Belastungspolitik der Regierung?

 

Strasser: Ich glaube, dass die Bevölkerung den Kurs des Regierungsprogramms voll mitträgt. Das zeigen auch die guten Entwicklungen, die im letzten Jahr passiert sind bis hin zu Wirtschaftsentwicklung und den Arbeitslosenzahlen. Allerdings geht es darum, dass ausgehend vom Regierungsprogramm von den grundsätzlichen Übereinstimmungen bis in alle Details hinein genaue Umsetzungsschritte geplant werden. Hier ist in der Endfertigung der Produkte der Regierungsarbeit einiges passiert. Das sollte jetzt gut zu Ende gebracht werden, bevor es der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

 

STANDARD: Die Koalition ist im ersten Jahr nach dem mittlerweile nicht mehr attraktiven Motte "Speed" vorgegangen. Soll das Tempo zurückgeschraubt werden, wie es auch der Koalitionspartner FPÖ verlangt?

 

Strasser: Ich sehe das sehr klar von der Arbeit in meinem Ressort. Wir haben uns - aufbauend auf das Regierungsprogramm - selbst ein Vierjahresprogramm gegeben, das mit einem Jahresarbeitsprogramm für das Jahr 2001 über alle Abteilungen und Sektionen gestreut ist. Dieses Arbeitsprogramm arbeiten wir konsequent ab. Das gilt für das Bundeskriminalamt, das ist bei der Reform des Zivildienstes passiert das geht jetzt bei der Reform der Organisationseinheiten, die jetzt weiter in den Polizeidirektionen und den Gendarmeriekommanden in Angriff genommen wird. Hier wird Punkt für Punkt und Strich für Strich das Programm abgearbeitet.

 

STANDARD: Sie waren einige Jahre Landesparteisekretär der ÖVP Niederösterreich, der mitgliederstärksten ÖVP-Organisation überhaupt. Der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll hat sich zuletzt äußerst kritisch über den Regierungskurs geäußert - auch in Richtung der FPÖ. Gemeint hat er offenbar den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Wie geht man mit diesem Problem in der ÖVP um?

 

Strasser: Ich persönlich habe das Regierungsprogramm nicht verhandelt, aber ich stehe zu 100 Prozent zu diesem Regierungsprogramm, und es muss klar sein, dass alle, die mitgewirkt haben an der Erstellung des Regierungsprogramms, alle die mitgewirkt haben an den Leitlinien der Umsetzung des Programms, auch Verantwortung dafür tragen, dass diese Umsetzung funktioniert. Das Floriani- Prinzip ist kein gutes Prinzip für die Politik.

 

STANDARD: Was meinen Sie damit konkret? Heißt das, der Kärntner Landeshauptmann kann es sich nicht so einfach machen und sich abseilen?

 

Strasser: Das Floriani-Prinzip besagt konkret: Lieber Gott, verschon’ mein Haus und zünd’ das Haus vom Nachbarn an. Diese Grundstruktur wird in der Umsetzung einer gemeinsamen Partnerschaft über vier Jahre nicht möglich sein.

 

STANDARD: Wie stabil ist Ihrer Meinung nach der Koalitionspartner in seiner inneren Befindlichkeit?

 

Strasser: Bei der ÖVP, der FPÖ und der SPÖ hat es nach der Regierungsbildung einen Rollenwechsel gegeben. Die FPÖ musste sich von der scharfen Oppositionspartei zur Regierungspartei entwickeln. Das kostet Kraft und braucht auch Zeit. Die SPÖ hat auch Schwierigkeiten, in die Oppositionsrolle hineinzufinden. Dafür muss man Verständnis haben.

 

STANDARD: Die FPÖ sagt immer deutlicher in Richtung ÖVP, dass man sie in der Koalition leben lassen muss.

 

Strasser: Wir wollen gemeinsam erfolgreich sein, das ist der Sinn und das Ziel des Regierungsprogramms. Da geht es nicht um Leben und Leben lassen. Das Programm sieht im ersten Jahr die Sanierungsarbeit vor, im zweiten Jahr werden die großen Reformen angegangen und anschließend dann die Chancen für die Bürger in vollem Ausmaß gegeben sind. Zugegeben: Das erste und das zweite Jahr sind ambitionierte Vorhaben, wo man konsequent vorgehen muss.

 

STANDARD: Trotz allem: wie groß ist die Gefahr, dass die ständigen Zwischenrufe aus dem Süden noch mehr Sand ins Getriebe der Koalition bringen?

 

Strasser: Diese Gefahr sehe ich nicht.

 

STANDARD: Warum nicht? Haider hat immerhin alle Mehrheiten in den bestimmenden Parteigremien.

 

Strasser: Diese Gefahr sehe ich deshalb nicht, weil eine stabile Regierung mit einem gemeinsamen Arbeitsprogramm und gemeinsamen Umsetzungsleitlinien arbeitet.

 

STANDARD: Sie rechnen also fix damit, dass die FPÖ bis zum Ende der Legislaturperiode bleibt und Haider nicht die Parole "raus aus der Regierung" ausgibt.

 

Strasser: Wir haben eine Vereinbarung, die ist auf vier Jahre abgeschlossen, die werden wir umsetzen.

 

STANDARD: Im Wiener Wahlkampf hat sich Haider massiv eingemischt, meiner Meinung nach mit einer bewussten Strategie, um mit antisemitischen und xenophoben Anwürfen zu punkten. Warum hat dazu der Bundeskanzler eine sehr laue Haltung eingenommen?

 

Strasser: Das ist überhaupt keine laue Haltung, sondern es ist bekannt, dass sowohl der Bundeskanzler, alle ÖVP-Landesleute und Regierungsmitglieder hier eine klare Sprache sprechen. Diese Regierung hat nach 30 Jahren den ersten wirklichen Schritt zu einer Versöhnung gesetzt. Mit einer weltweit sehr anerkannten Regelung der Restitutionsfrage.

 

STANDARD: Was Haider durch seine Äußerungen wieder zerstört.

 

Strasser: Jeder hat für sich selbst seine Worte zu verantworten.

 

STANDARD: Waren für Sie die Äußerungen gegenüber dem Präsidenten der Kulturgemeinde antisemitisch?

 

Strasser: Diese Äußerungen waren nicht nur überflüssig, sondern sie haben dem Ansehen Österreichs geschadet.

 

STANDARD: Noch einmal, waren sie für Sie antisemitisch?

 

Strasser: Das sind Äußerungen, die durchaus so zu benennen sind.

 

STANDARD: Disqualifizieren solche Äußerungen den Kärntner Landeshauptmann für künftige höhere Aufgaben, zum Beispiel in einem Ministerkabinett?

 

Strasser: Diese Frage stellt sich nicht. Soweit ich weiß, ist kein Kabinettsessel frei.

 

STANDARD: Werden wegen der Zwischenrufe aus dem Süden die Nerven der Kabinettsmitglieder strapaziert?

 

Strasser: Meine nicht.

 

STANDARD: Die jüngste politische Parole lautet "mehr Herz in der Politik". Sehen Sie das auch so?

 

Strasser: Herz und Hirn gehören zusammen in der Politik.

 

STANDARD: Gibt es bei jenen, die mehr Herz verlangen, zu wenig Hirn?

 

Strasser: Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen.

 

STANDARD: Es war der Kärntner Landeshauptmann, der die Parole ausgegeben hat.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.3./1.4. 2001)