Das Schöne und, wenn man will, das Praktische an Genrefilmen wie dem Politthriller ist: Es gibt für alle Problemkonstellationen bewährte Szenenmuster, die es ermöglichen, eine an und für sich komplexe Situation eingängig aufzulösen.

Gehen wir also von einer denkbar oft erzählten Situation aus: ein Staat in Angst; ein Einzelgänger beim Basteln von Bomben und Verfassen von Drohbriefen; und: ein eingespieltes Team von Kriminalisten, das in einem Terrain, wo Staatsräson eine beträchtliche Rolle spielt, immer wieder in seiner - natürlich hochprofessionellen - Arbeit manipuliert und behindert wird.

In solchen Ausgangssituationen tritt nun, so will es die industrialisierte Erzählkonvention, gerne der unkonventionelle Einzelgänger und Gerechtigkeitsfanatiker auf den Plan: Als Gegenpol zum dämonischen Einzeltäter und als Korrektiv für ein System, das erstarrt bzw. korrumpiert ist. Genau dies geschieht auch in Der Briefbomber, einem Thriller des deutschen Regisseurs Torsten C. Fischer, der am Sonntag im ORF-Hauptabendprogramm, mit Parallelen zur Affäre Franz Fuchs gespickt, Quote machen sollte.

"Politik" der Gefühle

Verharren wir kurz bei dem, was da (nicht) zu sehen und (nicht) zu hören war, bevor wir festhalten, wie sehr dieser Film weniger einem realen "Fall" entspricht als einer soziopolitischen heimischen Landschaft, in der zugunsten verstärkter Emotionalisierung jede Form der sachlichen, profunden politischen Argumentation verunmöglicht wird, bis nur noch Schlagworte fallen.

Wir sehen zuerst einmal zwei Kontrahenten: Zum einen einen permanent schweigenden Mann mit traurigem Schnurrbart, der irgendwie, so wie er da in der Einschicht an Schaltplänen für Bomben herumtüftelt und umgeben von düsteren Blumentapeten Kein schöner Land anschaut, immer schon da war.

Sein Gegenspieler: Ein sehr beredter, permanent wie aus dem Handbuch referierender Kriminalpsychologe, der sich aus der heimischen Provinz ("Verkehrspolizist") heraus hoch gearbeitet hat. Der zuhause amerikanische Rockmusik hört. Der in Amerika beim FBI sein Handwerk als Serienmörderexperte gelernt hat. Der auch gerne sehr bedeutungsvoll vor einem Plakat von Das Schweigen der Lämmer abgebildet wird.

Dies alles, inklusive einer attraktiven Ermittlungsleiterin, in die sich der Psychologe auf den ersten Blick verliebt, wäre nun im Rahmen eines Tatort-Krimis bestenfalls eine hübsche Ausgangssituation. Der Briefbomber aber soll mehr bieten: Beraten vom realen Franz-Fuchs-Jäger Thomas Müller will Regisseur Fischer dezidiert den damaligen Innenminister Caspar Einem anprangern, der, laut Müller, die Einzeltätertheorie zugunsten von Angriffsmöglichkeiten gegen eine (im Film interessanterweise kaum einsehbare, also scheinbar kaum existente) rechtsextreme Szene ablehnte und lange unterwanderte.

Weil nun aber weder politische Haltungen noch soziale Kontexte jemals angedeutet werden können, deformiert sich die allgemeine Krise im Briefbomber zu einer beliebigen, insgesamt aber nur aufs Private abzielenden Abfolge von Befangenheiten und Ungerechtigkeiten. Kinderliebe zum Beispiel wird zu einer ganz entscheidenden motivischen Konstante:

Der Minister ist also vor allem privat ungerecht. Der schwangeren Geliebten des Psychologen wird, während sie im Mutterschutz ist, die leitende Funktion entzogen. Der Held selbst, bald frisch gebackener Vater, identifiziert sich mit den Leiden eines Neonazis, der, unschuldig als Attentäter inhaftiert, sein Baby zwei Jahre lang nicht wie jeder andere auch aufziehen darf. Ein Höhepunkt des Filmes ist eine Szene, in der der Ermittler den Häftling auffordert, mit folgender Aussage den wirklichen Täter, der scheinbar unter seiner Kinderlosigkeit leidet, in die Pflicht zu nehmen: Im Gefängnis gehe es an und für sich menschlich zu, aber ohne Kind - "daran zerbreche ich".

Österreich, privat

Hier mag sich das Drehbuch tatsächlich an den Erlebnissen von Müller und anderen realen Personen orientieren. Wesentlich wäre wohl aber auch, was es ausspart: Über verzückt zelebrierten Privatsphären vergisst der Film völlig auf die österreichische Zeitgeschichte. Er vergisst auch auf ein politisches Klima, in dem die FPÖ mit Ressentiments gegen Ausländer (und Appellen an den privaten Hausverstand) auf Stimmenfang geht.

Stattdessen reiht er Klischeemotive aus der Filmstadt Wien (Schönbrunn!) neben "typische" Bilder heimischer Kleinhäuslerei. Hakenkreuz-Flugblätter verliert man aus dem Auge und aus dem Sinn, wenn - Bomben! - sehr viel explodieren muss. In knapp 100 Minuten, weil: Hauptabendprogramm! Niemanden überfordern! Der Höhepunkt an Perversion: ein "Roma heim nach Indien"-Schild, das in einer Tricksequenz über ein bestirntes Firmament fliegt.

Man darf also den Briefbomber in die Reihe jener Spielfilme stellen, die schon in den letzten Jahren politisch "brisant" Ausverkauf betrieben: Die britisch-österreichische Version von Der Fall Lucona war so ein Fall oder die TV-Adaption von Josef Haslingers Bestseller Opernball. Während sich der heimische Dokumentarfilm in den genannten Problemkreisen auf 50-minütige Im Brennpunkt-Sendungen beschränkte, kam auch der Spielfilm (immer mit Blick auf internationale Vermarktbarkeit) ohne wüste Vereinfachungen nicht aus: die heimische Gegenwart als Dreigroschenfantasie.

Was wären die Alternativen? Bessere, ausführlichere Dokumentaressays, wie sie der ORF kaum jemals zulässt. Und im Spielfilm eine Abkehr von billigen Adaptionen des US-Genrekinos. Steven Soderbergh zum Beispiel erkannte in seinem Drogenthriller Traffic, dass man komplexen Themen mit linearer Erzählung nicht beikommt.

Auch die Affäre Fuchs wäre eigentlich eine Vorlage für Parallelaktionen, in denen das Allgemeine und das Besondere, der Staat und seine Bürger, die Politik und das Ressentiment nicht zwingend in eins fallen müssen. Dies sorgfältig zu erzählen ist Frage eines wachen filmischen und auch politischen Bewusstseins. Das ist scheinbar Mangelware. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 4. 2001)