Wien - Arbeiten bis 65? Diese Idee des Bundeskanzlers kostet Kurt Berger ein wütendes Grinsen: "Was stellt sich der gute Mann vor? Ich würde ihn gerne einmal mitnehmen auf die Baustelle." Dort kennt er sich nämlich aus - ist er doch Jahr um Jahr dort gewesen, seit er 14 war und eine Zimmererlehre begonnen hat. Und zwar, allen Vorurteilen über die langen Saisonpausen der Bauarbeiter zum Trotz, fast durchgehend: "Insgesamt war ich in all den Jahren nur zwei Monate stempeln. Nicht mehr. Sonst habe ich durchgearbeitet, seit ich 14 bin." Und daher sei es, findet Herr Berger, sein gutes Recht gewesen, nun als 60-Jähriger in Pension zu gehen: "Ich habe mit 60 schon 45 Jahre gehackelt und 45 Versicherungsjahre zusammengehabt. Und außerdem war ich mit 60 ein Wrack." Die Bandscheiben, die Schulter - das Schleppen am Bau hat seine Spuren hinterlassen: "Ich war einfach gesundheitlich ziemlich fertig." Was der Arzt im Spital auch bestätigt habe. "Ich war mit 60 ein Wrack" 45 Jahre Arbeit schlauchen. Zumal heutzutage ja auch bei Kälte und Nässe gearbeitet werde: "Es gibt zwar das Schlechtwettergesetz, aber das gilt fast nicht mehr. Der Polier bestimmt, wann das Wetter schlecht ist, und der Polier steht unter Termindruck. Also wird bei fast jeder Witterung gehackelt." Jung gegen Alt Und das alles andere als gemütlich: "Am Bau wird fast jede Arbeit im Akkord erledigt." Da könnten Ältere schwer mit - und seien daher weder bei den Kollegen noch bei den Firmen sonderlich beliebt: "Eine junge Truppe bringt einfach mehr. Da wird Jung gegen Alt ausgespielt." Das Argument mancher Politiker, dass Ältere dafür Erfahrung einbringen könnten, lässt Herr Berger nicht gelten: "Erfahrung kann man am Bau vergessen." Kanzler auf den Bau Auch die Idee, dass er sich ja mit 60 für einen weniger anstrengenden Job umschulen lassen und weiterarbeiten hätte können, hält der Neopensionist für unrealistisch: "Bitte! Welche Firma ist denn neugierig darauf, einen alten Mann zu nehmen?" Kurt Berger würde Kanzler Wolfgang Schüssel und andere, die das Arbeiten bis 65 propagieren, gern probeweise am Bau arbeiten lassen. Und sie von seiner Meinung überzeugen: "Bis 65 arbeiten kann man vielleicht als Politiker oder als Beamter. Als Bauarbeiter aber nicht." (DER STANDARD Print-Ausgabe, 4. 5. 2001)