Da bekamen Zehntausende erstmals die Möglichkeit, die Welt und ihre Vielfalt kennen zu lernen - und dann das. "Sie werden vielleicht wirklich glauben, daß Jesolo, Bibione und Lignano Italien verkörpern", macht sich 1960 der Journalist Ernst Hammer in der Arbeiter-Zeitung über die neuen Pauschaltouristen an der Adria lustig. Keine Rede könne aber davon sein, oder davon, "dass die Händler von Cattolica oder Riccione typische Italiener seien". Doch der Zug - oder vielmehr der VW-Käfer und die erste Ente - waren längst abgefahren. Ab 1957 im Äther begleitet von "Autofahrer unterwegs". Österreichs Proletariat machte sich zuhauf auf die Reise und wollte dabei nur eines: endlich Urlaub. Bevorzugter Liegeplatz: die norditalienischen Strände. "Reiseziele im Ausland, einst den bürgerlichen Schichten vorbehalten", schreibt Wolfgang Kos im Buch "Die ,wilden' fünfziger Jahre", wurden "zu einem exakt kalkulierbaren Konsumgut".

Der Reisende verachtet den Touristen. Sucht der eine das einsame Erlebnis, will der andere eben das, was alle anderen auch wollen. Und ab Ende der 50er-Jahre wollten alle nach Italien ans Meer. Das war "der Inbegriff der Auslandsreise", schreibt Wolfgang Kos, "ganze Regionen etwa in der nördlichen Adria wurden mit heimatlichen Gewohnheiten überlagert". Da blieb den Altvorderen der Sozialdemokratie keine Hoffnung mehr, die sich die Freizeitkultur im neuen Wohlstand und die Weltoffenheit des neuen Menschen ganz anders vorgestellt hatten. Da half auch kein Naserümpfen des vormals exklusiv polyglotten Bildungsbürgertums über so viel fernfahrende Ignoranz. Es blieben nur Service für die Touristen-Massen und Bildung für die Besserungswilligen.

Zum Grenzstau-Bericht jedes Sommerwochenendes der 60er-Jahre in der Arbeiter-Zeitung gab's gute Tipps ("die Ausweichstrecke über Sillian und das Pustertal kennen noch zu wenige Kraftfahrer") und ganzseitige Benimm-Regeln: "Im Umgang mit den Angestellten des Hauses sei man weder von hochfahrender Herabgelassenheit noch von ängstlicher Unsicherheit". Der "Baedeker Oberitalien" hoffte noch 1973 auf die Belehrbarkeit des Älplers: "Shorts oder gar Lederhosen sollte man in Städten nicht tragen." Ende der 60er-Jahre fuhren 1,4 Millionen Österreicher mit dem eigenen Auto auf Urlaub.

Bald war es in den Orten von Grado bis Rimini wie im Gänsehäufl - nur schöner und sonniger. Rimini war die erste Hochburg, die von den blassen Sonnenhungrigen erobert wurde. In den großen Tagen, lange vor den 60ern, war hier die gute Gesellschaft zu Gast - Kaiser und Könige, das Großbürgertum. Dann kamen die plumpen Industriellen, schließlich Krethi und Plethi. "Man fühlt überall, wie sehr Fellini fehlt", klagt noch Mitte der 90er-Jahre Signore Pietro Arpesella, vormals Besitzer des Grand Hotel von Rimini, im Merian. Fellini, ein Sohn der Stadt und Stammgast im Grand Hotel, musste die Neupositionierung Riminis noch miterleben: Animation am Strand, Themenparks in der Umgebung und Diskos die ganze Nacht lang. Massentourismus ja, aber besser. Auch 28.000 Österreicher konnten da im Vorjahr nicht widerstehen.

30.000 Feriengäste vom nördlichen Nachbarn wurden in Bibione und Caorle allerdings bereits Anfang der 70er-Jahre registriert. "Dort waren die so genannten Hausmeisterstrände", schmunzelt der Kärntner Thomas, der als Kind fast jeden Urlaub an der Adria verbrachte. Allerdings meist in Jesolo. Wer sich in Jesolo, in Grado oder Lignano sein Quartier sicherte, blickte mit ein wenig Herablassung auf die "Proleten-Bastionen" in Bibione und Caorle.

Es galt in den 80er-Jahren durchaus als schick, sich in Lignano blicken zu lassen und ein Radio-Interview für die österreichischen Urlauber zu geben. Hans Krankl schaute mit schwarzer Sonnenbrille vorbei, Stefanie Werger ließ sich am Sandstrand inspirieren. Annemarie Moser-Pröll rechtfertigt sich heute ein wenig verlegen dieser Urlaubsvergangenheit wegen. "Nur wegen des Nachwuchses", sei sie mehrfach an der Adria aufgetaucht.

"Es war einfach schön und angenehm", sagt allerdings Ernst Budai, damals Nachrichtenredakteur des deutschsprachigen Senders "Radio Lignano". Auch die Arbeiter-Zeitung, nunmehr AZ, reiste in den 80er-Jahren dem potenziellen Publikum nach. Budai war journalistische Leihgabe des SPÖ-Zentralorgans und versah "Dienst in der Badehose". Da war es vergnügliche Abwechslung, wenn die Panorama-Terrasse des Adria-Senders besetzt wurde: von einer Gruppe steirischer Urlauber, ausgestattet mit Gösser-Bier kistenweise und Wurzelspeck für alle.

Kurz nur währte in den 90er-Jahren die Verunsicherung der Tourismus-Manager an der Adria. Viele Stammgäste blieben plötzlich aus, der neue Mittelstand flog lieber "auf die Dominikanische". Inzwischen gelingt den Adria-Orten der Spagat zwischen Massen- und Qualitätstourismus recht gut. Die Österreicher danken das Engagement auch mit vielen Wochenend-Tripps. In Jesolo flanieren sie dann zwischen Prada-Shops und anderen Designer-Geschäften. Nebenan stehen noch die Ramschläden wie vor 30 Jahren.

Die Generation der Erben erinnert sich der eigenen schönen Zeit am Meer. Exklusive Läden mit italienischer Kindermode wenden sich an die Familie mit verwöhntem Bambino. Das Wetter ist noch immer schön, die Sandkiste unendlich lang. Der Kärntner Thomas, einst passionierter Toskana-Reisender, kommt heuer mit Frau und Kleinkind wieder - zum zweiten Mal in Folge - an die Adria. Zum Appartement gibt's den gesicherten Liegestuhl - auch heuer wieder: 5. Reihe, Nummer 128.

Vor kurzem war Pecorino auf Urlaub. Am Strand von Rimini. Eigentlich lebt der Mischlingshund mit dem Käsenamen in München. Meist ist er unterwegs, immer mit dem Fotografen Toni Anzenberger. Pecorino ist auf allen Fotos drauf, mal im Mittelpunkt, mal in inszenierter Beiläufigkeit. Auf der Promenade, vor der Bar, in einem Haufen Strandtischchen - die Bilder erzählen eine eigene Rimini-Geschichte. Das Buch "Pecorino in Rimini" erscheint Ende Mai bei ars vivendi. (DER STANDARD, Printausgabe)