Die Wiener Generali Foundation zeigt in einer dichten Schau künstlerische Strategien, die Enge des eigenen Selbst zu überwinden. Von Markus Mittringer.

Bekanntlich ist das Ich immer wieder einmal gerne ein Anderer: Weil sich die Geborgenheit im Selbst nicht einstellen will. Weil da eine Lust ist, die sich mit und innerhalb der eigenen Haut nicht befriedigen lässt. Weil die kleine private Biografie ausweglos verfahren, das daraus resultierende Dasein vergleichsweise mickrig ist.

Oft auch passt einfach eine zugeteilte Rolle nicht, oder das andere Geschlecht denkt und fühlt widerwillig im Eigenen. Auch die Idee, Selbsterkenntnis aus der Position eines Dritten zu vertiefen, hat etwas für sich. Dann sprechen noch diverse pädagogische Ansätze dafür, ein Kostüm überzustreifen, um derart Erkenntnis zu vermitteln.

Schließlich ist ein Identitätstransfer oft das einzig probate Mittel, Kritik anzubringen, weil die konstruierte Identität weitaus glaubwürdigere Verweise auf fragwürdige Zu- und Umstände zu geben imstande ist als die angestammte. Das alles kann sich jetzt natürlich auch noch changierend überlappen, vexierend je nach Blickwinkel umspringen, abrupt die Gestalt wechseln.

Fremde Soziotope

In A Double Life, einem Film von George Cukor aus dem Jahr 1947, erlebt ein Schauspieler seine Rolle (frei nach Shakespeares Othello) derart intensiv, dass Privatleben und Darstellung verschwimmen. Die weiße amerikanische Künstlerin Eleanor Antin dokumentiert ihre Liebschaften als schwarze Ballerina "Antinova" in Episodenfilmen - Loves of a Ballerina - Zeichnungen und Textblättern - Recollections of My Life with Diaghilev. Die Belgierin Ria Pacquée stylt sich als Mittelschichtshausfrau und sucht derart maskiert die entsprechenden Soziotope auf. Man findet sie, in der Hoffnung der britischen Prinzessin Ann zu begegnen, beim Besuch einer Gartenschau oder auch als Es - Das Auto in einer Hosenrolle.

Sabine Breitwieser und Hemma Schmutz haben in der Generali Foundation eine offene Geschichte von Identität und Transformation als Thema der zeitgenössischen Kunst zusammengestellt. Double Life konfrontiert Arbeiten von Künstlern unterschiedlichster Generationen, die Rollentausch als Mittel ebenso der Kritik wie der spielerischen und ironischen Annäherung an soziale Phänomene begreifen.

Inszenierte Fotografie, Film und im Speziellen die ab dem Ende der 60er-Jahre auch "private" Verfügbarkeit des Mediums Video spielen dabei eine zentrale Rolle. Vor allem Künstlerinnen erschließen damit ein neues Terrain. Friederike Petzold: "Zu meiner großen Freude stellte ich fest, (. . .) dass ich gleichzeitig vor und hinter der Kamera stehen konnte. (. . .) Mit Video (. . .) machte ich das bislang Unmögliche möglich: die Aufhebung der Trennung von Modell und Maler, von Subjekt und Objekt, von Bild und Abbild."

Valie Export eignete sich die Marke SMART EXPORT an und dokumentierte ihre Identitätstransfers fotografisch - so erfüllte sie für einen Tag die Rolle eines Pornomodells in einem Göteburger Bordell. Etwa zur gleichen Zeit hat Marina Abramovic in Zagreb öffentlich die pesönlichkeitsverändernde Wirkung chemischer Substanzen erprobt. Im selben Jahr stellte sie sich im Studio Morra zu Neapel dem Publikum als Objekt. Das Setting ist in der Generali rekonstruiert: 72 Gegenstände - von der Peitsche bis zum Skalpell - konnten an ihr angewendet werden. Im Jahr darauf tauschte sie mit einer Prostituierten die Rolle: Während die Nutte sie in der Amsterdamer Galerie De Appel vertrat, erledigte Abramovic deren Job im Bordell.

Mit Verweisen auf die multiplen Möglichkeiten, mithilfe der neuen Technologien andere Rollen anzunehmen, schließt die Schau an die Gegenwart an. (DER STANDARD 16.5.2001)