Mit den Toten haben die beiden gemeinsam, dass ihnen an Fotogenität wenig liegt. Der Tag am Fluss ist ein Kriegstag: A Day on the River, 12 July 1941. Und wer in Bill Brandts Kategorien vom "river" spricht, meint den, der Waterloo Bridge passiert. Ein noch sehr junger Krieg, mit ihm verglichen wirken die beiden im Gras erwachsen, bewusst und archaisch. Sie üben einen Augenblick, der nicht nur lang reichen soll, er steht für mehr: für den scharfen Grat zwischen Erstarrung und Aufbruch, mit dem sich Liebe definiert. Fast sieht es so aus, als läge nicht genug Zeit vor ihnen, um die Gelassenheit der Gräser unter ihnen einzuüben, die sie kommenden Ausweglosigkeiten entgegensetzen könnten. Noch ist das Gras halbwegs trocken, das Wasser nicht ganz unverlockend, der Himmel hell. Der Tag ist im Gehen, aber der Sommer im Kommen. Und was auf sie zukommt? Sie scheinen begriffen zu haben, dass es wenig Sinn hat, sich weiter damit zu beschäftigen. Was sie erwartet, ist nicht nur die Zukunft. Keinerlei exakte Voraussehbarkeit. Sie sehen aus, als würden sie auch weiter nicht darauf bestehen. Sie wirken in diesem Augenblick uneinholbar. Auch Bill Brandt lässt sie in Ruhe ("zufrieden" wäre ein falsches Wort). Ihre Augen sind geschlossen - nicht wie die der Toten, die meist mehr oder weniger sanft zugedrückt werden. Auf seinem Foto haben sie erreicht, was in ihrem Zustand zu erreichen ist. Ein vergessener Tag am Fluss, an dem dem Glück noch einiges Unglück und dem Unglück noch einiges Glück bevorsteht. Schon ist es fast zu kalt. Aber Bill Brandt lässt einen Grad von Wärme und Licht zu, der ihnen die Hoffnung gibt, die sie in dieser Sekunde nicht nötig haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 5. 2001)