Wien - Das ist eine Warnung. Halten Sie sich in den kommenden zwei Wochen von Ottakring im Allgemeinen und dem Brunnenviertel im Besonderen fern. Sollte sich der Besuch des Brunnenmarktes sowie dessen Umgebung dennoch nicht vermeiden lassen: Tragen Sie Scheuklappen. Schauen Sie nicht links und rechts. Reagieren Sie nicht auf Plakate und Einladungen, doch abzubiegen. In einen Hinterhof oder in ein leeres Geschäft. Denn im Brunnenviertel gilt bis zum 2. Juni Kunstalarm. Wo man sie am wenigsten vermutet, springt sie einen an. Nicht einmal auf dem Markt selbst ist man in dieser Zeit vor Kunst sicher. Das Viertel ist - zum dritten Mal - ein quirliges, fröhliches, buntes und geradezu schockierend lebendiges Quartier: Das ist nicht das Wien, dass der Wiener gewohnt ist. Sondern - beinahe - eine echte Großstadt. Vermutlich heißt das den grauen Grant der Stadt unterminierende Unternehmen deshalb "Soho in Ottakring". Schließlich liegt Soho im Ausland. In einer großen Stadt. London. Doch trotz seiner geradezu zu Wien-Normal antithetischen Wesensart, jubeln politisch wie wirtschaftlich Verantwortliche der Verfremdung des von 14.000 Menschen bewohnten Stadtteils beim Gürtel: Karina Brehofer, Vizepräsidentin der Wiener Wirtschaftskammer, spricht von einer "gelungenen Symbiose von Kunst und lokaler Wirtschaft" und Ernestine Graßberger, Ottakrings Bezirksvorsteherin (SPÖ), überlegt gar, das Viertel nach der Erfinderin des Galerienfestivals in leer stehenden Geschäftslokalen im Multikultiviertel, von "Brunnenviertel" in "Ula Schneider Viertel" umzutaufen. Schließlich ist diese dafür verantwortlich, dass über 220 Künstler auf insgesamt mehr als 4800 m² Ausstellungsfläche eine Art kulturellen Ausnahmezustand schaffen. Mit der Absicht, es wieder zu tun. Dann aber - wenn überhaupt - hoffentlich mit Warnschildern: "Vorsicht Kunst". Schließlich hat der Wiener das Recht, vor Überraschungen sicher zu sein. (Thomas Rottenberg /DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 5. 2001)