Salzburg - Vor ein paar Jahren regten sich kritische Stimmen ob einer Initiative, den seinerzeit verwesten Karajanischen Pfingstkonzerten mit einer Altertumsretrospektive neues Leben einzuhauchen. Zu spezialisiert, zu gekonnt hatten andere Bewerber um die Gunst der Hörer längst ihre Programme platziert und mithilfe vieler Garanten des historisierenden Gewerbes auch Profit angemeldet - zumindest aber keine nennenswerten Verluste. Pfingsten Barock ist in der Mozartstadt mit den Jahren aber zu einer erheblichen Einrichtung mit regem Publikumszuspruch herangewachsen. Und selbst Fachleute aufführungspraktischer Genauigkeit reisen nun in der ihnen eigenen kunstversessenen Erregtheit an, um Lieblingswerke und so manche Rarität zu erleben. Im programmatischen Staccato der Konzerte ähneln diese Tage des zeitlos Alten dem ästhetischen Sperrfeuer der winterlichen Mozartwoche. Cecilias Sopran Der Hörer ist geladen, er darf sich aber auch gefordert fühlen, wenn er vormittags eine von Sang und Klang erfüllte Kirche besucht, am Nachmittag die artifizielle, aber humane Sopranakrobatik der Cecilia Bartoli bewundert, um später unter der Leitung von Ton Koopman Händels Auferstehungsoratorium mit dem Amsterdam Baroque Orchestra und mit allen musikgeschichtlichen Wassern gewaschenen Solisten zu inhalieren. Es ist das Verdienst eines Koopman und es ist das Verdienst eines Sir John Eliot Gardiner, in ihren Händel-Interpretationen in je eigener Wiedergabetemperatur über die Werkstrukturen hinaus auch die in Musik gefassten menschlichen Züge der Personen erlebbar zu gestalten. Gardiner leistete dies im Verlauf des Oratoriums Israel in Ägypten , eines Werks, dessen Chöre, Rezitative, Arien und Duette in einer weniger plastischen Darbietung nicht unter der Rubrik von Zeitvertreib zu führen wären. Hier aber, zur Pfingsten Barock -Eröffnung, schienen alle guten Geister intellektueller und emotionaler Entschiedenheit im Sinne einer gültigen, packenden Händel-Belebung versammelt zu sein, zumal der präzise agierende Monteverdi Choir nicht nur im Kollektiv für jede Art der Situationsdefinition bürgte, sondern auch die namentlich nicht angeführten Solisten stellte. Die alten Leidens- und Überlebensparabeln aus dem biblischen Katalog der menschlichen und tierischen Plagen mögen nicht wenige an die gerade wütenden Auseinandersetzungen im alten Palästina gemahnt haben. Geschichte nimmt kein Ende - und man fragt sich, wer von den palästinensischen und israelischen Komponisten demnächst die Wunden und Hoffnungen der letzten Jahrzehnte vertonen wird. Einmal mehr galt es in Salzburg vor der schier wahnwitzigen Gurgel- und Ideenkunst von Cecilia Bartoli in die Knie zu gehen. Vivaldi-Kunststücke und Gluck-Partien, rührig und unverzopft unter- und ausgemalt von der Akademie für Alte Musik Berlin, bestätigten einmal mehr, wie kühn und unvorhersehbar diese beiden Meister ihre Themen, Farben und ihre literarischen Eindrücke formulierten. Die alte Musik gewinnt unter solchen Bedingungen die Qualität des Neuen, oder anders ausgedrückt: Avantgarde bleibt Avantgarde, selbst wenn Jahrhunderte verstrichen sind. Im Vorfeld dieser Festspiele hatten die Salzburger Gelegenheit, in der Pfarrei St. Erhard auch ein neues Stück des Komponisten Wolfgang Seierl kennen zu lernen. Als Auftragskomposition der - wie man sieht - nicht nur rückspiegelnden Paul Hofhaymer Gesellschaft wurde unter der Leitung von Johannes Strobl eine satztechnische altertümelnde, im Ausdruck freilich ungefällige, ja ungebärdige, von elektronischen Unbequemlichkeiten überbrückte Primavera Kantate auf Texte von Dante, Mandelstam und Lucrez uraufgeführt. Seierl bezieht sich auf Botticellis La Primavera- Bild, berücksichtigt Monteverdi und beschreibt in nervösem Bogen Vergänglichkeit und Aufbruch. Wenn man will: Ein Sacre du printemps für lautere, intonationsgenaue Stimmen und elektronische Vitaminschübe aus der wohlsortierten Geräuschschublade. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 6. 2001)