Wien - Durch den dräuenden Antisemitismus wieder zunehmend auf sein Judentum konzentriert, plante Arnold Schönberg eine Art jüdische Trilogie, in die neben der Oper Moses und Aron auch ein Theaterstück integriert sein sollte, Der biblische Weg. Obwohl dieses Schauspiel im Gegensatz zu der Fragment gebliebenen Oper 1927 vollendet wurde, ruhte es bislang in den Archiven. Für eine Lesung stellten die Wiener Festwochen in Kooperation mit dem Schönberg-Center das abendfüllende Theaterstück erstmals halbszenisch vor. Unschwer ist in Schönbergs Konzept eine Auseinandersetzung mit Theodor Herzls zionistischen Ideen zu erkennen. Allerdings ist der Protagonist Aruns, der in Hermann Beils dramaturgischer Einrichtung von August Zirner gelesen wurde, keinesfalls ein bedingungsloser Politiker auf dem Weg zur Gründung eines jüdischen Staats in Palästina. Vielmehr wird im Biblischen Weg der Konflikt zwischen Moses und Aron gleichsam in Aruns selbst ausgetragen, der die Lebensentwürfe beider Brüder in sich trägt: Das Vertrauen auf die Kraft des Gedankens, "der aus sich selbst fließt", und das Kokettieren mit einer populistischen Rhetorik, um politische Ideen der Masse schmackhaft zu machen. Obwohl Aruns am Ende persönlich scheitert und bei einem Aufstand stirbt, leben seine Ideen in Gestalt seiner rechten Hand Guido (Joseph Lorenz) weiter - ein bemerkenswerter Unterschied zu Moses und Aron, da das Fragment mit Moses' verzweifeltem Ringen um das rechte Wort endet. Dass für Schönberg in diesem Widerstreit zwischen reflektierender Religionsphilosophie und aktionistischer Politik nur der Gedanke siegen konnte, schien um 1927 also noch nicht endgültig ausgemacht. Fragment, ja. Zwingender und dramaturgisch überzeugender kann das Stück Moses und Aron allerdings nicht schließen. Wie das Deutsche Symphonieorchester Berlin und der mit Klarheit agierende und nach wie vor grandiose Dietrich Fischer-Dieskau (Moses) im Konzerthaus den letzten Ton ausklingen lassen, liegt in der folgenden Stille die Erkenntnis in der Luft, dass man hier ein vollkommenes Fragment gehört hat. Man wird dafür auch Dirigent Kent Nagano "zur Verantwortung ziehen" müssen. Er beflügelt die Flüster- und Sprech- und Gesangswellen des Chores wie jene des Orchesters; er leistet mehr als nur die Koordination von Wort und Ton, was ja allein schon abendfüllend gewesen wäre. Es ist die musikalische Strahlkraft ohne Kraftmeierei, die bezirzt, da sie sich hier mit der Transparenz der diffizilen Musikflächen vereint. Ob diese Flächen nun zart lyrisch oder exaltiert kontrapunktisch waren - oder einfach sanft und in der Höhe metallisch tenoral (Donald Kaasch als Aron). (ka-/tos/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 6. 2001)