Genau wie In Sachen Signora Brunetti beginnt auch dieser Band mit einer sehr persönlichen Verstrickung des Commissario in einen zukünftigen Kriminalfall: Ein Beamter vom Katasteramt besucht Brunetti in dessen Wohnung. Signor Rossi soll die alten Baugenehmigungen überprüfen. Da zeigt sich, dass Brunetti einst nichts ahnend eine Wohnung gekauft zu haben scheint, die in keinem Bauplan verzeichnet ist. Die Wohnung gibt es also offiziell gar nicht. Was wird geschehen? Schlimmstenfalls muss der möglicherweise schwarz gebaute oberste Stock des antiken Hauses, in dem die Brunettis seit vielen Jahren wohnen, abgerissen werden. Und so sind auf einmal eine Menge Fragen der angewandten Moral zu klären. Soll Brunetti seinen Einfluss oder noch besser, den seines angesehenen Schwiegervaters geltend machen? Dann wäre das alles kein Problem, ein Anruf im Katasteramt und niemand würde sich weiter um die absurde Affäre kümmern. Oder vielleicht doch auf die Hilfe von Freunden und Bekannten zählen, die einem noch etwas schulden? Oder abwarten, bis das Interesse der Bürokratie erlahmt? Kann man denn ein System korrumpieren, das ohnehin schon korrupt ist? Wie zu erwarten, gehen die Meinungen der Eheleute über das weitere Vorgehen auseinander, wenngleich der moralische Rigorismus Brunettis im Säurebad der täglichen Versuchungen schon etwas erodiert erscheint. - Donna Leon schafft es, solche Konflikte wunderbar darzustellen, ohne einen einzigen Leser zu überfordern. Schließlich kann jeder verständnisinnig nicken, wenn von Kompromissen in Sachen alltäglichen Anstands und Interessensabwägung die Rede ist. Signor Rossi will auf einmal dringend den Commissario sprechen, doch noch ehe es zu einem Treffen kommt, wird Rossi erschlagen und "fällt" aus dem Fenster eines unbewohnten Hauses. Gleichzeitig bittet der schleimige Vorgesetzte Brunetti um einen Gefallen. Sein nichtsnutziger Sohn wurde im Besitz von Drogen aufgegriffen. Brunetti soll dafür sorgen, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt. Und dann findet man im dem leeren Haus, in dem Rossi zu Tode gekommen ist, die Leichen zweier Junkies. Auch sie erschlagen. Brunetti, wütend ob der Heuchelei und der allgegenwärtigen Habgier, greift zu nicht ganz sauberen Mitteln. Er benützt die Sensationsgeilheit der Boulevardpresse, um die Täter aus dem Versteck zu locken. Und als er die Verdächtigen endlich im Kommissariat hat, gehen im die Nerven durch. Auf einmal beweist der gebildete Bewunderer altgriechischer Texte beachtliches Talent zum Psychoterror. Brunetti sieht rot und da wird das Ganze auf einmal recht aufgeraut. Leider nur auf den allerletzten Seiten. Sonst gibt es nicht viele Überraschungen in Venedig. Es ist anzunehmen, dass wir dem Commissario Brunetti das nächste Mal immer noch in seiner alten Wohnung begegnen werden. Und wahrscheinlich liest er wieder Xenophon. (Ingeborg Sperl)