"In Göteborg wird zur Erweiterung nur eitel Freude und Glück herrschen." Dieser Satz hat alle Chancen, als Fehleinschätzung des Jahres in die Annalen einzugehen. Ausgesprochen hat ihn noch Freitagmittag - wenige Stunden vor der Bekanntgabe des Neins der Iren zum EU-Vertrag von Nizza - ein sehr hoher, sehr einflussreicher Diplomat in Brüssel. Daraus wird nach Einschätzung in den EU-Hauptstädten nichts.

Die Suche nach einem Ausweg zur "Rettung" des Nizza-Vertrages und zur Sicherstellung, dass der Erweiterungsprozess nicht beschädigt wird, überschattet das Geschehen der Union.

Dabei hatte der Diplomat gar nicht sagen wollen, dass die Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten vor dem Freitag im westschwedischen Göteborg beginnenden EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs derzeit ganz problemlos verlaufen würden. Aber im Vergleich zu den zahlreichen heiklen Problemen in einer außenpolitischen "Superwoche" der Union wäre Erweiterungsfreude für Göteborg angebracht gewesen.

Dauergast Bush

Der EU-Kalender ist am Platzen: Heute, Montag, treffen einander die EU-Außenminister in Luxemburg. Dort sollen mit Shimon Peres und Nabil Shaath zum ersten Mal überhaupt sowohl ein israelischer Außenminister als auch ein palästinensischer Minister für Internationales in einem EU-Ministerrat - wenn auch hintereinander - auftreten. Nach intensiven Verhandlungen wollen die Europäer im Nahost-Friedensprozess eine größere Rolle spielen, einen Erfolg verzeichnen. Daneben wird das Krisenmanagement zu Mazedonien laufen.

Das alles geht direkt über in die erste Europa-Reise von US-Präsident George Bush. Er kommt Mittwoch mit den EU-Regierungschefs in Brüssel bei einem Nato-Gipfel zusammen. Anschließend reisen die meisten Nato-Staatschefs nach Göteborg weiter, um sich Donnerstag mit den dazustoßenden Regierungschefs der Neutralen in der Union zum EU-USA-Gipfel zu versammeln. Bush fliegt Freitag über Warschau nach Slowenien zum ersten Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin weiter. Die EU-Spitzen tagen bis Samstag als Europäischer Rat weiter.

Der Streit um das Kioto-Abkommen (Klimaerwärmung), Welthandelskonflikte, die Rüstungspolitik - all das dürfte durch die EU-interne Krise wegen des Nizza-Vertrages in den Hintergrund gedrängt werden.

Dänische Lösung

Mit Spannung wurde daher am Wochenende der Auftritt des irischen Außenministers in Luxemburg erwartet. Von ihm erhoffen sich Spitzendiplomaten erste konkrete Hinweise, wie man den Vertrag von Nizza durch Zugeständnisse an die Iren in einem wiederholten Referendum vielleicht doch noch retten könnte. Eine "dänische Lösung" - Ausnahmeregelungen nur für Irland, ohne Veränderung des EU-Vertrages - biete sich als Ausweg an, sagte ein Botschafter dem STANDARD.

Die EU-Außenminister werden Montag vermutlich eine Erklärung abgeben, wonach die Erweiterung auf keinen Fall gefährdet oder auch nur verzögert werde. "Die Ministerin kann sich nicht vorstellen, dass die Union den Kandidatenländern verweigert, was in den Römischen Verträgen festgeschrieben ist", sagte Johannes Peterlik, der Sprecher von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, dieser Zeitung am Sonntag. In diesem Sinn werde sie sich in Luxemburg äußern. Sie erwarte entsprechende Klarstellungen nicht zuletzt vonseiten der schwedischen Ratspräsidentschaft.

Ein Sprecher der Schweden kündigte an, dass die für Montag und Dienstag angesetzte weitere Verhandlungsrunde mit den Kandidatenländern ganz normal durchgeführt werde. Die Ratspräsidentschaft strebt sogar an, dass es bei dem umstrittenen Thema der Übergangsregelungen im freien Personenverkehr zu ersten Abschlüssen kommt - wahrscheinlich mit Ungarn und Tschechien. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2001)